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Vergaberecht, aktuelle Urteile

Aufhebung nicht rechtmäßig

Sitzungsstühle als Vergabeproblem: Die Vergabekammer Südbayern entschied zur Aufhebung einer Ausschreibung.

Ein öffentlicher Auftraggeber hat die Büroeinrichtung im Rahmen des Neubaus eines Rathauses im Wege eines offenen Verfahrens europaweit als Bauleistung ausgeschrieben. Der Auftrag war in drei Lose unterteilt, unter anderem in ein Möbellos für Sonderräume. Ein Unternehmer hat sich mit der Abgabe eines Angebotes für das Möbellos an dem Vergabewettbewerb beteiligt. Er wurde daraufhin von der Vergabestelle informiert, dass das Vergabeverfahren für das Möbellos aufgehoben werden soll. Der Unternehmer rügte die beabsichtigte Aufhebung.

Der öffentliche Auftraggeber half der Rüge nicht ab, weil die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssten. Insbesondere müsse die Ausschreibung aus haushaltsrechtlichen Gründen angepasst werden, weil der Gemeinderat weder bei der Festlegung der Leistungsverzeichnis-Kriterien noch bei der Bemusterung beteiligt gewesen sei. Außerdem seien die Angebotspreise überteuert. Die vom Bieter zur Nachprüfung angerufene Vergabekammer Südbayern hat das Vergabeverfahren in den Stand vor der Aufhebung zurückversetzt.

Finanzielle Mehrbelastung reicht nicht aus

Nach Ansicht der Münchner Nachprüfungsbehörde konnte sich die Gemeinde auf keinen Aufhebungsgrund nach § 17 Abs. 1 VOB/A-EU stützen, zumal sie weiterhin einen Beschaffungsbedarf für die Bestuhlung des Sitzungssaals im Rathaus hat und nicht konkret darlegen konnte, beispielsweise die Qualitätsanforderungen an die Sitzungsstühle abzusenken, um Kostenersparnisse zu erzielen. Etwaige unerwartete finanzielle Mehrbelastungen und Einnahmendefizite rechtfertigen per se noch nicht die Aufhebung einer Ausschreibung. Erst wenn aufgrund einer notwendigen Neubewertung der finanziellen Situation der Gemeinde ihr Beschaffungsbedarf ganz entfällt oder inhaltlich geändert wird, kommt eine Aufhebung einer Ausschreibung aus diesem Grund in Betracht, so die südbayerische Vergabekammer. Da die Gemeinde keine dokumentierte Kostenschätzung für das Möbellos vorlegen konnte, war hier nicht davon auszugehen, dass das bestbietende Angebot angeblich überteuert gewesen wäre.

Ferner ist es die Aufgabe eines öffentlichen Auftraggebers, den Beschaffungsbedarf eines Vergabeverfahrens vor Verfahrensbeginn sorgfältig zu bestimmen. Denn das Bestimmungsrecht über den Beschaffungsinhalt obliegt grundsätzlich ihm, sodass auch Änderungen der Leistungsbeschreibung, jedenfalls wenn sie nicht auf unvorhersehbaren nachträglich eintretenden Ereignissen beruhen, in die Risikosphäre bzw. in den grundsätzlich vorhersehbaren Bereich des Auftraggebers fallen. Dementsprechend fällt die von der Gemeinde als weitere Begründung herangezogene politische Neubewertung der Bestuhlung des Sitzungssaals als Motivationsänderung jedenfalls in ihre eigene Risikosphäre und kann keine rechtmäßige Aufhebung rechtfertigen.

Quelle: Bayerische Staatszeitung, Ausgabe 44/2016

Autor: Holger Schröder, Fachanwalt für Vergaberecht bei Rödl & Partner in Nürnberg

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