Fachbeitrag

BwBBG: Nun auch „Tesla-Geschwindigkeit“ für das Beschaffungswesen der Bundeswehr?

Am 7.7.2022 wurde das Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG) durch den Bundestag verabschiedet. Nur kurze Zeit später, am 18.7.2022, ist es in Kraft getreten. Das Gesetz ist gültig bis zum 31.12.2026. Etwas verspätet – quasi passend zum Thema – wird das Gesetz hier einer genaueren Betrachtung unterzogen.

I. Das Problem

Zu spät, zu wenig, zu teuer“, oder „Goldrandlösung“, ist das, was man in der Vergangenheit – neben anderen Pleiten und Pannen (z.B. Marineschiffe, Schwerer Transporthubschrauber oder Nachfolge G36 etc.) – gelesen hat, wenn es um Beschaffungen der Bundeswehr ging. Die Probleme im Beschaffungswesen der Bundeswehr sind vielschichtig und können kaum ausschließlich einer Stelle im Beschaffungsprozess zugeordnet werden. Während in der Öffentlichkeit immer wieder die Rolle des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) diskutiert wird, wurden in der Politik zunächst vermeintlich einfache Lösungen gesucht. Dort wurde das Vergaberecht als Hauptproblem auserkoren. In der Folge der politischen Diskussion wurde das BwBBG erlassen. Nachdem erst im Jahr 2020 das Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik erlassen worden war, versprach man sich im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (GB BMVg) und in der Bundesregierung offenbar durch die neuen Regelungen eine erhebliche Beschleunigung des Bundeswehr-Beschaffungsprozesses.

Einige der Möglichkeiten, die das Gesetz zur Beschleunigung bietet, werden im Folgenden dargestellt.

II. Der Anwendungsbereich (§ 2 BwBBG)

Das BwBBG gilt lediglich für die Beschaffung von Militärausrüstung und dazugehöriger Teile im Sinne des § 104 Abs. 2 GWB, die den EU-Schwellenwert gem. § 106 GWB überschreiten und vom Bundesministerium der Verteidigung, von den Behörden in seinem Geschäftsbereich oder den bundeseigenen Gesellschaften vergeben werden.

Erfasst sind auch überschwellige Bau- und Instandhaltungsleistungen, die mit Militärausrüstung in unmittelbarem Zusammenhang stehen und durch die vorgenannten Stellen und – das ist eine Besonderheit – durch die Behörden der Länder, die mit Bautätigkeiten für den GB BMVg befasst sind, vergeben werden.

Ferner muss die Beschaffung der „unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr“ dienen. Die hier geforderte Unmittelbarkeit soll nach der Gesetzesbegründung schon dann gegeben sein, wenn der Auftrag „der Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ dient. Eine dahingehende Begründung dürfte den Vergabestellen im derzeitigen politischen Umfeld kaum schwerfallen.

III. Was steckt drin?

Mit dem Gesetz soll die Beschaffung von Militärausrüstung beschleunigt werden (vgl. § 1 Abs. 2 BwBBG).  Der Gesetzgeber sieht die Gefahr, dass für die Zeitenwende dringend durchzuführende Beschaffungen durch Vergabe- oder Nachprüfungsverfahren verzögert und dadurch die Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr gefährdet werden könnte.

Zu diesem Zweck wurde eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen ergriffen. Hier soll jedoch nur auf die brisantesten Regelungen eingegangen werden.

1. Aufweichung des Gebots der losweisen Vergabe

Durch § 3 Abs. 1 BwBBG wird das Gebot zur losweisen Vergabe aus § 97 Abs. 4 GWB aufgeweicht. Dieses Gebot dient dem Schutz des Mittelstandes.

Bereits nach der bisherigen Rechtslage konnte aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen von der Losbildung abgesehen werden. Das BwBBG fügt den vorgenannten Gründen „zeitliche Gründe“ hinzu. Von diesen sind laut Gesetzesbegründung bereits Fälle bloßer Eilbedürftigkeit erfasst, einer besonderen Dringlichkeit bedarf es nicht.

Mit der Regelung soll der öffentliche Auftraggeber von höherem zeitlichen (z. B. Koordinierungs-) Aufwand entlastet werden, der durch die Losbildung im Vergabeverfahren oder während der Auftragsausführung entstehen kann. In der Rechtsprechung der Obergerichte genügte diese Begründung bislang nicht, um den Verzicht auf die Losaufteilung zu rechtfertigen.

Diese sog. Gesamtvergabe ist dazu geeignet, den Beschaffungsprozess auf Seiten des Auftraggebers zu beschleunigen. Sie bietet die Möglichkeit, Tätigkeiten, die sonst im Verantwortungsbereich des Auftraggebers lägen – z. B. die Beschreibung von Schnittstellen – einem Generalunternehmer aufzugeben. Insofern ist die Regelung geeignet, die Durchlaufzeiten beim Auftraggeber zu verkürzen. Dies ist jedoch kein Garant dafür, dass die zu beschaffende Ausrüstung tatsächlich zeitgerecht bei der Truppe ankommt. Die Bundeswehr hat in der Vergangenheit nicht nur positive Erfahrungen mit Generalunternehmern gemacht (z. B. beim Schützenpanzer Puma).

Mit dieser Regelung wurde den Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen klar der Vorzug vor dem Schutz des Mittelstandes gegeben. Ob dies bei der stark mittelständisch geprägten deutschen wehrtechnischen Industrie sinnvoll ist, sei dahingestellt. Trotz alledem ist zu erwarten, dass der Auftraggeber von der neuen Möglichkeit des Losverzichts extensiv Gebrauch machen wird. Ob dies tatsächlich zur Beschleunigung beiträgt, ist allerdings sehr unsicher.

2. Keine Unwirksamkeit gem. § 135 GWB

Im Falle eines Verstoßes gegen die Informations- und Wartepflicht gem. § 134 Abs. 1 GWB oder bei einer sog. De-facto-Vergabe kann durch die Vergabekammer die Unwirksamkeit eines Vertrages festgestellt werden (§ 135 Abs. 1 GWB). Im Anwendungsbereich des BwBBG kann der Auftraggeber nun jedoch beantragen, den Vertrag als wirksam zu erachten. Das BwBBG weicht hier von der zwingenden Unwirksamkeitsfolge des § 135 Abs. 1 GWB ab und eröffnet der Nachprüfungsinstanz die Möglichkeit, alternative Sanktionen, z.B. eine Geldstrafe oder die Verkürzung der Laufzeit, zu verhängen.

Ob es zu nennenswerten Sanktionen kommen wird, bleibt abzuwarten. Zumal die Frage, an wen eine etwaige Geldstrafe zu leisten wäre (eine andere Behörde?), nicht geklärt ist. Insgesamt handelt es sich um eine Verkürzung des vergaberechtlichen Rechtsschutzes. Bereits zur alten Rechtslage waren Nachprüfungsverfahren nicht attraktiv – wie sich aus der geringen Anzahl von Nachprüfungsverfahren im Bereich VSVgV ergibt. Die neuen Regelungen sind hingegen geeignet, Nachprüfungsverfahren – mangels Erfolgsaussichten – gänzlich zu verhindern. Da das Vergaberecht jedoch auch ein Stückweit der Bekämpfung von Korruption dient, ist diese Regelung kritisch zu betrachten.

3. Das Ende der „Goldrandlösung“ (?!)

Versteckt, am Ende des § 3 BwBBG, nämlich in dessen Abs. 7 findet sich – etwas überraschend – eine Regelung, die den öffentlichen Auftraggeber in die Pflicht nimmt:  in die Pflicht zur Markterkundung. Danach sind zur Beschleunigung der Beschaffungsvorhaben grundsätzlich marktverfügbare Leistungen und Produkte zu identifizieren. Wird eine nicht marktverfügbare Leistung beschafft, muss sich der Auftraggeber rechtfertigen. Mit dieser Regelung soll die Anschaffung von Neuentwicklungen vermieden werden, was in der Tat beschleunigend wirken kann.

Grundsätzlich ist diese Vorgabe sinnvoll und birgt das Potenzial für schnellere Beschaffungen, sie geht jedoch nicht weit genug: Entwicklungsprojekte sind bei der Bundeswehr selten problembehaftet. Problematisch wird es, wo die Bundeswehr Standardprodukte beschafft, jedoch in der Leistungsbeschreibung auf unzählige – eigene oder fremde – mitgeltende Vorschriften (z.B. auf Technischen Lieferbedingungen von Kampfhandschuhen bei technischen Geräten), produktuntypische oder markteinschränkende Zertifizierungen (z. B. VPAM statt NIJ bei ballistischem Schutz) oder besondere Prüfinstitute (z. B. Beschussamt Mellrichstadt [Beschussprüfungen] oder das eigene Wehrwissenschaftliche Institut für Werk- und Betriebsstoffe [WIWeB; z. B. Zulassung für Tarndrucke]) verweist. Unabhängig davon, dass hier vermeidbare Engstellen produziert werden, kommt die Abarbeitung dieser Vorgaben für die Marktteilnehmer in vielen Fällen nicht nur einer Neuentwicklung gleich, sie verzögert den Beschaffungsprozess gar und verteuert die zu beschaffenden Produkte. Entsprechend wäre es sinnvoll, im Rahmen der Markterkundung auch die marktüblichen Zertifizierungen usw. in Erfahrung zu bringen und nachfolgend im Vergabeverfahren zu berücksichtigen, um den Markt möglichst breit anzusprechen und den Kauf tatsächlich marktverfügbarer Produkte sicherzustellen.

IV. Fazit
  • Das BwBBG hat viel Potenzial, wird allein aber kaum ausreichen, um die Bundeswehrbeschaffungen zu beschleunigen. Allerdings ist es ein erster Schritt, der einen Impuls für die Zeitenwende setzen kann.
  • Mit dem Tagesbefehl von Verteidigungsminister Pistorius vom 26. April 2023 und den darauf ergangenen Weisungen des Staatssekretärs Zimmer und des Generalinspekteurs Breuer wurde die Beschleunigung des Beschaffungswesens mittlerweile allerdings auch innerhalb der Bundeswehr vorangetrieben. Diese Weisungen betreffen die bundeswehrinternen Regelungen und Abläufe.
  • Dieses Vorgehen zeigt, dass auch im BMVg erkannt wurde, dass nicht das Vergaberecht das Hauptproblem im Beschaffungsprozess ist, sondern hausintern weitere Beschaffungshemmnisse bestehen, die es aus dem Weg zu räumen gilt.
Quellen
Autor

Dr. Nana Baidoo studierte Rechtswissenschaften an der Universität Münster und an der University of the West of England in Bristol (Vereinigtes Königreich). Nach dem Referendariat schloss er sich einer auf Hochtechnologieprojekte spezialisierten Boutique-Kanzlei in Köln an. Dort beriet er – insbesondere öffentliche Auftraggeber – in vergabe- und vertragsrechtlichen Fragestellungen. Auf Grund seiner Vergangenheit als Zeitsoldat wechselte Dr. Baidoo anschließend zu einer Inhousegesellschaft des Bundes, die zu dem Zweck gegründet wurde, die Soldat*innen und zivilen Mitarbeiter*innen der Bundeswehr mit Bekleidung und persönlicher Ausrüstung zu versorgen. Dort beriet er rechtlich bei der Konzeption und Durchführung von Vergabeverfahren und gestaltete Verträge. Seit August 2022 ist Dr. Baidoo mit eigener Kanzlei im Vergabe- und Vertragsrecht tätig. Homepage: https://www.nvbrbravo-law.com

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