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Verrechtlichung statt Qualität

„Preisbewusste Beschaffung“ war seit jeher gesetzliche Verpflichtung für die öffentlichen Vergabestellen. Das erklärt kaum die seit Jahren weit verbreitete Klage der Unternehmen, die öffentliche Hand beauftrage stets den Billigsten.

Klaus Faßnacht, im Mainzer Amt für Finanzen, Beteiligungen und Sport Abteilungsleiter für Vergabe und Einkauf, sieht die Ursache für die tatsächliche Tendenz zum Zuschlag für den billigsten Bieter im Bereich der Bauleistungen abgesehen von der bisweilen zu geringen Fachkompetenz bei den Vergabestellen in der wachsenden Bereitschaft der Bieterseite, angesichts des hohen Wettbewerbsdruck Einspruch gegen Vergabeentscheidungen zu erheben. Gerade die Beauftragung von Nebenangeboten, die innovative Lösungen für öffentliche Auftraggeber erschließen könnte, werde zu oft von der Vergabekammer oder dem Gericht gekippt.

Spezialberater hilft bei Nachtrag

Im Vergleich zu früher hat sich die Abwicklung der Ausschreibungs- und Bauprozesse in der Tat stark verrechtlicht. Früher haben sich Vertragspartner bei Problemen auf der Baustelle unterhalten und eine Lösung gefunden, berichtet Michael Kordon, Amtsleiter des Staatlichen Bauamts Weilheim und Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Heute kann es ihm passieren, dass zu Verhandlungen um einen Nachtrag eine Baufirma einen als externen Berater hinzugezogenen Ingenieur mitbringt, der sich darauf spezialisiert hat, auszuloten, wie sich über einen Nachtrag möglichst viel herausholen lässt.

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Hoher Preisdruck in vielen Gewerken

Die wachsende Bereitschaft, Konflikte etwa mit Nachbarn vor Gericht zu klären und dabei auf Rechtsberatung zurückzugreifen, ist in der gesamten Gesellschaft gestiegen. Dazu kommt der hohe Preisdruck in vielen Gewerken, wie Michael Kordon feststellt. Es besteht auch die Gefahr, dass ein Unternehmen den Zuschlag für ein Angebot erhält, das sich während der Leistungserbringung als nicht ausreichend erweist, weil der Kalkulator einen Fehler gemacht hatte und die Vergabestelle das nicht bemerkte.

Natürlich sind Vergabestellen zur Prüfung verpflichtet, ob Bieter auskömmliche Preise angesetzt haben. Aber Preiskalkulation ist keine exakte Wissenschaft, Preisüberprüfung hat daher Grenzen, betont Kordon. Hat ein Anbieter zufällig eine Kiesgrube nahe der Baustelle, bekommt er seinen Asphalt oder Beton aus einem nahegelegenen Werk, lässt sich damit ein preislicher Vorteil über geringere Transportkosten begründen – aber in welcher Höhe? Und wie wettbewerbsfähig sind die Ausgangspreise?

Mehr Gewicht für Qualität im Vergabeprozess erwünscht

Wohl alle am Bauen Beteiligten wünschen sich, dass im Vergabeprozess der Qualität oder beispielsweise der Nachhaltigkeit im Bauen mehr Gewicht beigemessen wird und sich der Wettbewerb auf die Qualität hin verbessert und nicht zum reinen Preiskampf degeneriert, sagt Michael Kordon. Seine Vergabestelle arbeitet bei der Beschaffung von Bauleistungen selten mit Kriterien und ihrer Gewichtung. Durch exakte Beschreibung der benötigten und geforderten Qualitäten schafft er Vergleichbarkeit der Angebote und erteilt dann den Zuschlag auf das günstigste und zugleich wirtschaftlichste Angebot.

Überall da, wo sich die gewünschten Qualitäten und Anforderungen nicht exakt und nachweisbar – etwa über DIN-Normen – beschreiben lassen, beispielsweise bei Sanierungsmaßnahmen, geht es, so Kordon, darum, Kriterien zu definieren, die den Wettbewerb nicht einschränken und die zudem zu wirklichen Unterschieden bei den Angeboten führen. Wichtig ist ihm, dass die öffentliche Hand Entscheidungsspielräume behält. Die sieht er allerdings durch die weiter zunehmende Verrechtlichung eher noch schrumpfen.

Der nächste Beitrag in der Serie „Wirtschaftliche Vergabe in der Praxis“ 07. Juli 2016.

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