Der erste Teil dieser zweiteiligen Beitragsserie befasste sich mit den Fragen, was KI ist, welche Bedeutung ihr im Rahmen der Beschaffung zukommt und welche Verfahrensarten sich für die Ausschreibung von KI-Leistungen anbieten. Dieser 2. Teil verschafft einen ersten Überblick über die Gestaltungsmöglichkeiten bei KI-bezogenen Verträgen.
I. Rechtliche Rahmenbedingungen
Es existiert keine spezielle „KI-Vertragsart“. Vielmehr basieren Entwicklungs- und Nutzungsverträge über KI auf Vertragstypen, die dem deutschen Recht bereits bekannt sind: Für KI-Entwicklungsverträge kommen vornehmlich der Werkvertrag, der Dienstvertrag oder ein typengemischter Vertrag mit dienst- und werkvertraglichen Elementen in Betracht. Dagegen werden KI-Nutzungsverträge regelmäßig als Kauf- oder Mietverträge zu qualifizieren sein.
Auch „spezielle“ Vertragsregelungen wie beispielsweise zur Haftung (u.a. BGB, ProdHaftG), zum Datenschutz (u.a. DSGVO, TTDSG, BDSG), Wettbewerbsrecht (UWG, GWB) und zum Urheberrecht (UrhG) lassen sich grundsätzlich mithilfe des bestehenden Rechtsrahmens auf EU- und nationaler Ebene abbilden.
Dennoch sind nationale und EU-weite gesetzliche Entwicklungen im Blick zu behalten:
- EU-weiter Rechtsrahmen für KI zum Schutz von Grundrechten und zur Verringerung von KI-spezifischen Sicherheitsrisiken, sog. „AI-Act“ (Vorschlag der EU-Kommission, Position des EU-Rats, Position des EU-Parlaments).
- Modernisierte EU-Richtlinie über KI-Haftung (Vorschlag der EU-Kommission).
- Überarbeitung der sektoralen Sicherheitsvorschriften (z.B. Maschinenverordnung 2023/1230, Verordnung 2023/988 Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit).
II. Hauptbestandteile eines KI-Vertrages
Die von der EU-Kommission ausgearbeiteten Standardvertragsklauseln für KI-Systeme enthalten zwar hilfreiche Formulierungsbeispiele, allerdings beziehen sich diese primär auf KI-Systeme im Geltungsbereich des o.g. AI-Act – der sich gegenwärtig im Trilog befindet – und umfassen nicht sämtliche für KI-Verträge relevanten Regelungen (z.B. Datenschutz, geistiges Eigentum, Abnahme, Zahlungsmodalitäten). Aufgrund der fehlenden KI-spezifischen EVB-IT-Vertragsmuster bzw. unvollständigen Standardvertragsklauseln können öffentliche Auftraggeber und Bieter daher nur in begrenztem Umfang auf vorbestehendes Wissen und einschlägige Erfahrung zurückgreifen.
Vor diesem Hintergrund beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die wesentlichen Bestandteile von KI-Verträgen:
Grundlegend sollten öffentliche Auftraggeber und Bieter darauf hinwirken, die geschuldeten Leistungen eindeutig zu beschreiben. In der Konsequenz sind kurz gefasste Verfahrensbezeichnungen und Fachausdrücke, deren Bedeutung nur den Vertragsparteien bekannt ist, möglichst zu vermeiden. Stattdessen sollten Prozesse und gewünschte Funktionen objektiv und für Dritte verständlich beschrieben werden.
Aus vergaberechtlichen Gründen müssen Leistungsbeschreibungen nicht bloß eindeutig, sondern außerdem erschöpfend sein. Denkbare Bestandteile einer KI-Leistungsbeschreibung sind beispielsweise:
- Beschreibung der Methode des maschinellen Lernens (reinforcement learning, supervised learning, unsupervised learning, pattern recognition)
- Festlegung von Funktionen (z.B. Schlüsselwörter für die Bestimmung von rechtswidrigen Inhalten) und Label (z.B. „Kfz” oder „Kein-Kfz”)
- Anforderungen an die Transparenz der KI („explainable AI“) und zu treffende technische und organisatorische Maßnahmen
- Definition von Kriterien zur Prüfung der Qualität der KI (u.a. mittels Testdaten)
- Beschreibung von Schnittstellen und ggf. der Betriebs- und Systemumgebung
- Anforderungen an Hyperparameter wie z.B. learning rate, loss function und batch size (weiterführende Informationen zu Hyperparameter-Optimierungstechniken finden Sie in diesem englischsprachigen Beitrag)
- Festlegung der Verantwortlichkeit für Trainings-/Testdaten und für das KI-Training, Vorgaben zur Qualität und Herkunft der Trainings- und Testdaten,
- Festlegung eines Vorgehensmodells im Zusammenhang mit der Anpassung der Software nach Vertragsschluss und bezüglich des KI-Trainings (z.B. SCRUM oder PRINCE2)
- Pflicht zur Sicherung von Zwischenständen des KI-Modells
2. Nutzungsrechteregelungen und Vertragszweck
In Bezug auf die einzuräumenden Nutzungsrechte sind einige Grundvoraussetzungen zu berücksichtigen.
- Festlegungen zum geografischen Geltungsbereich, zur Nutzungsdauer, zum Nutzungszweck, zum Überlassungs-/Bereitstellungsweg und zur Form (Objektcode oder Quellcode) sind auch für KI-Verträge von hohem Stellenwert.
- Der Lizenzgegenstand sollte vor allem in Bezug auf KI-spezifische Aspekte erschöpfend definiert werden:
Beabsichtigt der öffentliche Auftraggeber beispielsweise, die KI eigenständig zu trainieren, sollte dies ausdrücklich vertraglich geregelt werden. Denn nach umstrittener Auffassung des OLG Hamburg (Urt. v. 13.04.2012, Az. 5 U 11/11) liege eine zustimmungsbedürftige Umarbeitung von Software gem. § 69c Nr. 2 UrhG bereits dann vor, wenn durch die Änderung von Daten (hier: KI-Training) auf den Programmablauf eingewirkt werde.
Empfehlenswert sind zudem eindeutige Regelungen zu den Rechten an weitertrainierten Modellen und etwaigen Ergebnissen (u.U. „abgeleitete Werke“). Denn nicht der „nackte“ Auslieferungszustand einer KI spiegelt den wahren wirtschaftlichen Wert einer KI-Lösung wider, sondern vielmehr ihr Stand nach dem Training und etwaige Arbeitsergebnisse. Sollen Auftragnehmer und/oder Datenlieferanten keine „Rücklizenzen“ an weitertrainierten Modellen oder Arbeitsergebnissen erhalten, sollte dies eindeutig aus dem Vertrag hervorgehen.
- Ein umfangreich dargestellter Vertragszweck und Erläuterungen zu technologischen bzw. auf die (künftige) Nutzungsart bezogenen Entwicklungen verringern das Risiko kostspieliger Meinungsverschiedenheiten nach Vertragsschluss. Denn der Vertragszweck bildet die Grundlage für eine unter Umständen erforderliche Vertragsauslegung (sog. Zweckübertragungslehre gemäß § 31 Abs. 5 UrhG).
Öffentliche Auftraggeber können hinsichtlich der Verarbeitungsprozesse der eingesetzten KI-Software spezifischen Auskunftspflichten und Rechtfertigungs- bzw. Nachweispflichten unterliegen, die sie häufig nicht selbstständig erfüllen können. Aufgrund dessen sind öffentliche Auftraggeber gut beraten, entweder den Zugang zu den benötigten Informationen (Prozessdaten, personenbezogene Daten, ältere Programmversionen etc.) oder die Kooperationspflicht des Auftragnehmers bzw. Datenlieferanten vertraglich sicherzustellen.
4. Haftungsfragen
Sowohl der KI-Hersteller als auch der Kunde/öffentliche Auftraggeber können unter Umständen der vertraglichen und deliktischen Haftung unterliegen. Dabei wird der öffentliche Auftraggeber regelmäßig der einzige Vertragspartner des Endnutzers (z.B. Bürger einer Gemeinde) sein. Die Haftung zu beschränken, wird deshalb sowohl im Interesse des Herstellers bzw. Bieters als auch des öffentlichen Auftraggebers stehen.
Gleichzeitig sollten Auftraggeber eigene Regressansprüche gegen den Hersteller/Anbieter der KI-Lösung und den Datenlieferanten vertraglich sichern.
5. Datenschutz
Das Datenschutzrecht ist für die Beschaffung und den Einsatz von KI nur von Bedeutung, wenn personenbezogene Daten verarbeitet werden sollen. Ist dies der Fall, greift das datenschutzrechtliche Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: Jede Verarbeitung i.S.d. Art. 4 Nr. 2 DSGVO bedarf einer Rechtsgrundlage.
Für öffentliche Auftraggeber und Auftragnehmer bedeutet dies, dass die Verarbeitungsvorgänge der Datenakquise, des KI-Trainings/-Tests mittels personenbezogener Daten, des eigentlichen Einsatzes der KI, der Generierung von Datenkopien i.Z.m. Deep Learning-Layern usw. jeweils für sich genommen sowie als Ganzes bewertet werden müssen.
Die datenschutzrechtliche Analyse eines KI-Systems erfolgt dabei unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus (vgl. DSK-Positionspapier – KI-Systeme u. TOM vom 06.11.2019):
- Design des KI-Systems und deren KI-Komponenten
- Veredelung der Rohdaten zu Trainingsdaten (inkl. traceability)
- Training der KI-Komponenten
- Validierung der Daten und KI-Komponenten sowie angemessene Prüfungsmethoden
- Einsatz und Nutzung des KI-Systems
- Rückkopplung von Ergebnissen und Selbstveränderung des Systems
Beim Einsatz eines KI-Systems kommen zudem verschiedene Verantwortliche in Betracht (d.h. der öffentliche Auftraggeber, Auftragnehmer, ggf. Subauftragnehmer, ggf. Hersteller usw.). Die Verantwortlichkeiten und etwaige Auftragsverarbeitungsverhältnisse müssen frühzeitig – d.h. möglichst während der Vorbereitung des Vergabeverfahrens – ermittelt, in den Vergabe- und Vertragsunterlagen geregelt und klar kommuniziert werden. Daran anknüpfend sind die jeweils notwendigen Maßnahmen vorzusehen, um die rechtmäßige Verarbeitung, die Betroffenenrechte, die Sicherheit der Verarbeitung und die Beherrschbarkeit des KI-Systems zu gewährleisten (vgl. auch DSK – Hambacher Erklärung zur Künstlichen Intelligenz vom 03.04.2019).
III. Fazit
- Während der Erfolg einer Ausschreibung maßgeblich von der Verfahrensvorbereitung abhängt, stehen und fallen IT-Projekte nicht zuletzt mit sorgfältig und präzise ausformulierten Vertragswerken.
- Der Dreh- und Angelpunkt einer KI-Beschaffung ist folglich die (technische) Bestimmung der vereinbarten Leistung als geschuldeter Erfolg.
Okan Doğan ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informationstechnologierecht und Partner bei der Doğan | Pfahler Rechtsanwälte GbR in Hamburg. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Vergaberecht, IT-Recht und Datenschutzrecht. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber (darunter verschiedene Landesministerien und IT-Dienstleister) und Sektorenauftraggeber zur Beschaffung von IT-Leistungen wie z. B. Individual- und Standardsoftware (On-Premises, SaaS, hybride Modelle etc.), Hardware (mobile Arbeitsplätze, IT-Forensik, Peripherie-Geräte etc.), Breitbandausbau und Beratungsleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Darüber hinaus berät Herr Doğan Bieterunternehmen bei der Vorbereitung ihrer Angebote/Teilnahmeanträge und unterstützt diese bei der Teilnahme an Vergabeverfahren. Außerdem verfügt er über besondere Kenntnisse im Zusammenhang mit der EU-DSGVO, dem BDSG, TTDSG und einschlägigen Landesdatenschutzgesetzen. Herr Doğan veröffentlicht zahlreiche IT- und vergaberechtliche Publikationen und beschäftigt sich in dabei umfassend mit den Wechselwirkungen zwischen Recht und KI.Homepage: https://doganpfahler.de/team/rechtsanwalt-okan-dogan