Das ist neu!
Der Bundesgerichtshof hat für die Preisanpassung bei Mengenmehrungen gemäß § 2 Abs. 3 VOB/B entschieden, dass der neue Preis bei Überschreitung der 110 %-Grenze nicht mehr durch eine kalkulatorische Fortschreibung zu ermitteln ist, sondern auf der Grundlage der tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten sowie für Wagnis und Gewinn (BGH, Urteile vom 8.8.2019 – VII ZR 34/18 und vom 21.11.2019 – VII ZR 10/19).
Mengenmehrungen sind streng von Nachträgen zu unterscheiden. Anders als Nachträge setzen sie keinen Änderungswunsch des Auftraggebers und auch keine unvorhersehbaren Erschwernisse voraus.
Bemerkenswert an diesen beiden BGH-Urteilen ist die Verwendung des identischen Wortlautes aus dem neuen § 650c BGB. § 650c BGB regelt die Preisbildung bei Nachträgen. Demnach soll es in erster Linie auch bei Nachträgen auf die tatsächlich erforderlichen Kosten ankommen. Die Regelung des neuen § 650c BGB gilt seit dem 1.1.2018. Sie wurde für Nachträge in den vergangenen drei Jahren durch die Praxis weitgehend ignoriert. Nach wie vor ist es üblich, die Geltung der VOB/B zu vereinbaren – und damit auch § 2 Abs. 5 und § 2 Abs. 6 VOB/B.
Einige Oberlandesgerichte verabschieden sich nun auch bei Nachträgen von der Fortschreibung der Urkalkulation und wollen Nachträge auf Grundlage der tatsächlich erforderlichen Kosten gewähren (Kammergericht Berlin, OLG Düsseldorf, OLG Brandenburg, OLG Köln). Demnach komme es auch bei Nachträgen nach § 2 Abs. 5 und nach § 2 Abs. 6 VOB/B nicht auf eine Fortschreibung der Urkalkulation an. Vielmehr müsse ein Vergleich angestellt werden zwischen den tatsächlich erforderlichen Kosten für die ursprünglich vereinbarte Bauleistung auf der einen Seite und den tatsächlich erforderlichen Kosten für die Nachtragsleistung auf der anderen Seite. Es geht also nicht mehr um die kalkulierten Preise, sondern um die tatsächlichen Kosten („Selbstkostenerstattungsnachtrag“).
Das Ziel ist klar:
Durch diese Rechtsprechung soll die Spekulation auf Nachträge verhindert werden. Durch Nachträge soll es den Bauunternehmen eben nicht mehr möglich sein, zu niedrige Angebote aus der Vergabephase aufzubessern.
Darauf sollte die Praxis vorbereitet sein:
- Neben ausreichend detaillierten Nachtrags- und Urkalkulationen können Bauunternehmen ihre Nachtragsansprüche auch durch eine sorgfältige Dokumentation der tatsächlich angefallenen Kosten für die Nachtragsleistung (Aufwand eigener Mitarbeiter, Nachunternehmerrechnungen, Lieferantenrechnungen, Mietkosten für Baugeräte usw.) nachweisen.
- Bauunternehmen sollten zukünftig „zweigleisig“ fahren: Sie sollten sich auf die Notwendigkeit der Fortschreibung der Urkalkulation bei Nachtragsleistungen einstellen und geleichzeitig darauf, die tatsächlichen Kosten nachweisen zu müssen.