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Die elektronische Vergabe – Alle Vergabeunterlagen „auf einen Streich“?

Die elektronische Durchführung europaweiter Vergabeverfahren ist bereits seit mehreren Jahren Pflicht. Und auch das nationale Vergaberecht wird digitaler. Der früher übliche Versand von Vergabeunterlagen per E-Mail oder gar per Post gehört mehr und mehr der Vergangenheit an. Doch neue Vorgaben führen auch zu neuen Fragen. Sind Bietern tatsächlich alle Vergabeunterlagen gleich zu Beginn des Verfahrens elektronische zur Verfügung zu stellen? Und kann dies von Unternehmen eingefordert werden? Die Antwort fällt trotz der vom Gesetzgeber gewünschten Eindeutigkeit differenziert aus.  

Unentgeltliche, uneingeschränkte vollständige und direkte Bereitstellung der Vergabeunterlagen

§ 41 VgV regelt scheinbar eindeutig, dass der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung angibt, unter welcher elektronischen Adresse „die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt vollständig und direkt abgerufen werden können“. Mit einem Griff bzw. Download sollen somit alle Unterlagen zur Verfügung stehen. Doch bereits seit In-Kraft-Treten der Norm wird dies hinterfragt. Dies gilt gerade bei zweistufigen Verfahren, wenn also ein Teilnahmewettbewerb der eigentlichen Angebotsabgabe vorgeschaltet wird. Denn nicht alle Vergabeunterlagen, insbesondere das Leistungsverzeichnis oder auch der Vertragsentwurf, sind bereits im Teilnahmewettbewerb von Bedeutung. Das OLG München (Beschluss vom 13.03.2017, AZ: Verg 15/16) geht trotzdem davon aus, dass auch bei zweistufigen Verfahren die Vergabeunterlagen komplett zu veröffentlichen sind. 

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Anders sieht das das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 17.10..2018, AZ: Verg 26/18). Die Begründung hierfür liefert dem OLG § 29 VgV. Die Vergabeunterlagen umfassen demnach „alle Angaben, die erforderlich sind, um dem Bewerber oder Bieter eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen“. Das müssen aber gerade bei zweistufigen Verfahren noch nicht alle Unterlagen sein. Es reicht aus, wenn ein Unternehmen anhand der Unterlagen erkennen kann, welche Vorgaben für die erste Verfahrensstufe, den Teilnahmewettbewerb gelten und darüber hinaus, ob er für die Erbringung der ausgeschriebenen Leistung grundsätzlich in Betracht kommt. Die Übermittlung entsprechender Informationen ist übrigens auch im Interesse der öffentlichen Auftraggeber selbst. Denn wer möchte schon riskieren, dass die im Teilnahmewettbewerb ausgewählten Unternehmen überhaupt nicht in der Lage sind, ein Angebot abzugeben und die Leistung zu erbringen?  

Letztlich ist der Auffassung des OLG Düsseldorf  zu folgen. Sie gibt den Auftraggebern die nötige Flexibilität, bei zweistufigen Verfahren, insbesondere bei komplexen Verhandlungsverfahren zwischen den Unterlagen des Teilnahmewettbewerbs und der Angebotsphase zu differenzieren. Die Kehrseite ist, dass Unternehmen dann im Teilnahmewettbewerb noch nicht die Überlassung aller Unterlagen verlangen können.  

Auch im Bereich der VOB/A gilt bei europaweiten Vergaben nichts Anderes. Zwar weichen die Formulierungen in § 12a EU, § 8 EU VOB/A geringfügig ab. Die Interessenlage aller Beteiligten ist jedoch die gleiche. Eine Differenzierung ist bei zweistufigen Bauvergaben somit ebenfalls angebracht.  

Das Ziel elektronischer Vergaben findet sich zuletzt auch in § 29 UVgO sowie § 11 VOB/A. Allerdings ist die elektronische Vergabe im Unterschwellenbereich auf Grund entsprechender Verwaltungsvorschriften der Länder noch nicht überall verbindlich. Öffentliche Auftraggeber können somit weiterhin Vergabeunterlagen per E-Mail oder Post übersenden. Entscheiden sie sich hingegen für die elektronische Vergabe, gelten die auch im Bereich europaweiter Vergaben maßgeblichen Anforderungen.  

Und auch sonst verbleiben Möglichkeiten für öffentliche Auftraggeber, einen direkten Zugriff von Unternehmen auf die Vergabeunterlagen zu unterbinden. Dies gilt etwa bei vertraulichen Unterlagen (§ 41 Abs. 3 VgV, § 10a EU VOB/A § 11 Abs. 7 VOB/A, § 29 Abs. 3 UVgO). Bei europaweiten Vergaben geht dies immer auch dann, wenn die Bekanntmachung mittels einer Vorinformation mit Aufruf zum Wettbewerb (§ 38 Abs. 4 VgV, § 12 EU VOB/A) erfolgt. Bei diesem Vorgehen können Auftraggeber ohne besondere Begründung auf die elektronische Zurverfügungstellung der Unterlagen verzichten.  

Fazit: 

Die elektronische Vergabe ermöglicht Unternehmen grundsätzlich einen schnelleren Zugriff auf die Vergabeunterlagen. Schneller als früher können sie sich somit über den Inhalt eines öffentlichen Auftrags informieren. Auch deshalb wurden Mindestfristen für Teilnahmeantrag und Angebot weiter gekürzt. Für Auftraggeber verbleiben weiter Möglichkeiten, diesen umfassenden Zugriff aller interessierten Unternehmen auf alle Unterlagen zu verhindern.