Bieterfragen und Rügen sind wesentliche Werkzeuge für Bieter innerhalb eines Vergabeverfahrens. Sie ermöglichen es, Unklarheiten zu beseitigen und aufgefundene Rechtsverstöße anzumahnen. Wie und wann diese Instrumente zum Einsatz kommen können, was dabei zu beachten ist und wann es taktisch klug sein kann, auf deren Anwendung zu verzichten, ist ein wesentlicher Bestandteil des Bewerbungsprozesses um öffentliche Aufträge und sollte daher jedem Bieter geläufig sein.
Definition und Abgrenzung
Zunächst ist es wichtig, die jeweiligen Begrifflichkeiten sowie deren Sinn und Zweck zu verstehen. Während Bieterfragen zur Aufklärung unklarer, missverständlicher oder womöglich fehlender Vorgaben und Regelungen dienen, stellt eine Rüge die Beanstandung eines erkannten Vergaberechtsverstoßes dar.
Zum besseren Verständnis der Abgrenzung zwischen den beiden Begrifflichkeiten sollen die folgenden Beispiele dienen:
Beispiel für eine Bieterfrage
Im Rahmen eines EU-weiten offenen Verfahrens zur Beschaffung von IT-Dienstleistungen fordert der öffentliche Auftraggeber, dass die Bieter im Hinblick auf zu erbringende Supportleistungen eine „schnelle Reaktionszeit“ gewährleisten müssen. Aus Sicht der Bieter ist nicht klar, welche konkrete zeitliche Vorgabe (wie viele Minuten, Stunden oder Tage?) der Auftraggeber zugesichert haben will. Um dies in Erfahrung zu bringen, kann ein Bieter eine dahingehende Bieterfrage an den Auftraggeber richten.
Beispiele für Rügen
In dem gleichen Vergabeverfahren gewährt der öffentliche den Bietern lediglich 20 Tage Zeit zur Erstellung der Angebote. Diese Frist unterschreitet die gesetzlichen Vorgaben des § 15 VgV. Diesen Vergaberechtsverstoß kann der Bieter mit einer Rüge beanstanden.
So weit, so gut! Um die Problematik der Abgrenzung zwischen Bieterfragen und Rügen zu verdeutlichen, soll ein weiteres Beispiel dienen. Hierfür ziehen wir noch einmal den ersten Fall heran, in welchem der öffentliche Auftraggeber keine eindeutige Reaktionszeit mitgeteilt hat. Denn anstatt eine dahingehende Bieterfrage zu stellen, kann der Bieter die unklare Vorgabe auch direkt als Verstoß gegen den vergaberechtlichen Grundsatz der Transparenz rügen und den Auftraggeber dazu auffordern, den Rechtsverstoß zu beseitigen.
Je nachdem, wie der Bieter seine Mitteilung an den öffentlichen Auftraggeber formuliert, kann es sich entweder um eine Rüge oder eine Bieterfrage handeln. Diese Abgrenzung ist von wesentlicher Bedeutung, da sie Folgen für die gebotene Art und Weise der Reaktion des öffentlichen Auftraggebers mit sich bringt, aber auch die Erfolgsaussichten eines etwaigen Vergabenachprüfungsverfahrens beeinflussen kann.
Rügefristen
Das Vergaberecht ist vom Grundsatz der größtmöglichen Beschleunigung geprägt. Bieter sollen erkannte und erkennbare Verstöße gegen das Vergaberecht möglichst zeitnah rügen. Der öffentliche Auftraggeber soll damit die Möglichkeit erhalten, etwaige Vergaberechtsfehler im frühestmöglichen Stadium zu korrigieren. Zugleich sollen sich Bieter erkannte Verstöße nicht bis zu einem späten Zeitpunkt „aufsparen“.
Bieter sind nicht dazu verpflichtet, Rügen zu erheben. Es handelt sich um eine bloße Obliegenheit. Allerdings stellt eine erhobene Rüge eine Zulässigkeitsvoraussetzung für ein späteres Vergabenachprüfungsverfahren dar. Wird ein spezifischer Vergaberechtsverstoß nicht rechtzeitig gerügt, ist dessen Geltendmachung in einem späteren Vergabenachprüfungsverfahren unzulässig.
Um eine Rüge rechtzeitig zu erheben, muss ein Bieter die folgenden Fristen beachten:
- Erkannte Verstöße müssen innerhalb von 10 Kalendertagen ab Kenntnis gerügt werden, § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB.
- Erkennbare Verstöße müssen bis zum Ablauf der Bewerbungs- oder Angebotsfrist gerügt werden, § 160 Abs. 3 Nr. 2 u. 3 GWB.
Das wirft unweigerlich die Frage auf, wann ein Verstoß erkannt wurde und wann ein Verstoß als erkennbar gilt.
Erkannte Verstöße
Ein Verstoß gilt grundsätzlich dann als erkannt, wenn nach der subjektiven Einschätzung des Bieters ein Vergabeverstoß vorliegt. Das mag zunächst durchaus einleuchtend erscheinen. Da allerdings niemand die Gedanken eines anderen Menschen überprüfen kann, begegnet diese Wertung in der Praxis einigen Problemen. Die Rechtsprechung behilft sich dabei mit einer Anknüpfung an die objektive Tatsachenlage und nutzt dafür diverse subjektive Begrifflichkeiten wie etwa „Lebensnahe Beurteilung“, „gesunder Menschenverstand“, „Durchschnittsbieter“ und „sorgfältiges Handeln“. Zudem wird die Fallgruppe um weitere Umstände erweitert. So darf sich ein Bieter der Erkenntnis auch nicht mutwillig verschließen.
Erkennbare Verstöße
Ähnlich subjektiv ist die Frage, wann ein Vergaberechtsverstoß erkennbar ist. Hierfür verweist die Rechtsprechung auf den Erkenntnishorizont eines durchschnittlich fachkundigen Bieters aus dem mit der Ausschreibung angesprochenen Adressatenkreis. Wer dies als mitunter schwer zu beurteilen empfindet, ist durchaus auf der richtigen Spur. Über die Frage der Erkennbarkeit lässt sich trefflich streiten. Als grobe Daumenregel gilt der Grundsatz, dass ein Vergaberechtsverstoß als erkennbar gilt, wenn er sich aus dem reinen Gesetzeswortlaut oder den Ausschreibungsunterlagen (z. B. im Falle eines offensichtlichen Widerspruchs zweier Vorgaben) und ohne vorherige Rechtsberatung ersehen lässt.
Fazit
Bieterfragen und Rügen sind zentrale Werkzeuge im Vergabeverfahren. Sie ermöglichen es den Bietern, eine Ausschreibung zumindest teilweise, mitunter aber auch erheblich zu beeinflussen. Für eine erfolgreiche Bewerbung um öffentliche Aufträge ist es daher unabdingbar, zumindest grundsätzliche Kenntnisse von diesen Instrumenten zu besitzen. Wie man diese Hilfsmittel sinnvoll einsetzt und was es dabei zu beachten gilt, soll Gegenstand eines künftigen Beitrags werden.

Seit Anfang 2020 ist Christian Schötzig bei abante Rechtsanwälte tätig, einer spezialisierten Boutique für Vergaberecht. Nach dem Abschluss seines 2. Juristischen Examens im Jahr 2019 in Sachsen begann er seine Karriere im Vergaberecht, zunächst mit Fokus auf die Vertretung von Bietern in Bereichen wie Facility Management (Wach- und Sicherheitsdienstleistungen, Reinigungsdienstleistungen), Schülerbeförderung, Abschleppdienstleistungen und Bauvergaben. Seit 2023 ist er als Fachanwalt für Vergaberecht anerkannt und begleitet sowohl öffentliche Auftraggeber bei der rechtsicheren Abwicklung von Verfahren als auch Bieter in diversen Mandaten. Homepage: https://abante.de/team-mitglieder/christian-schoetzig/