Was ist unter Vergabeerleichterungen zu verstehen?
Eine Vergabeerleichterung ist kein im Gesetz definierter Begriff. Unter Vergabeerleichterungen werden grundsätzlich diejenigen vergaberechtlichen Regelungen verstanden, die im Vergleich zu bereits bestehenden Vorschriften die Durchführung von Vergabevergabeverfahren für den öffentlichen Auftraggeber in irgendeiner Weise erleichtern oder sogar Vergabeverfahren gänzlich verzichtbar machen.
Solche Regelungen können entweder auf Bundes-, Landes- oder sogar Kommunalebene getroffen werden.
Dies kann in unterschiedlichen Formen geschehen:
- Zulässigkeit von Direktkauf bis zu einer erhöhten Wertgrenze
- Zulässigkeit von weniger strengen Verfahrensarten trotz eines höheren geschätzten Auftragswertes (z.B. Freihändige Vergabe/Verhandlungsvergabe bis zu 100.000 Euro ohne weitere Begründung zulässig)
- Schaffung neuer Tatbestände, aufgrund derer Direktvergaben ohne Wettbewerb zulässig sind (z.B. bei coronabedingten Beschaffungen wie Masken, Homeoffice-Infrastruktur usw.)
- Flexibilisierung in Bezug auf Formvorschriften (z. B. unter bestimmten Voraussetzungen Angebotsaufforderungen durch E-Mail zulässig)
Derartige Vergabeerleichterungen sind zu Zeiten der Corona-Pandemie von der EU-Kommission, dem Bund sowie den Bundesländern in ähnlicher Weise mit Erläuterungen erlassen worden. Die Erleichterungen geben grundsätzlich lediglich die Möglichkeit, sie zu nutzen. Eine Pflicht besteht nicht. Das heißt: öffentlichen Auftraggebern ist es nicht verwehrt, strengere Vorgaben zu beachten.
Eine Vielzahl dieser „Vergabeerleichterungen“ beinhaltet aber lediglich Erläuterungen, wie Spielräume bereits bestehender Vorschriften in der Praxis ausgeschöpft werden können. Sie legen jedoch zum großen Teil keine neuen Tatbestände fest, unter denen Vergabeverfahren einfacher durchgeführt werden können. Die EU-Kommission hat eine Mitteilung veröffentlicht, in der angeregt wird, dass Auftraggeber die Spielräume der vergaberechtlichen Regelungen vor allem für die Wahl der Verfahrensarten und Nachträge voll ausschöpfen sollen. Der Bund hat durch das BMWi und das BMI ähnliche Rundschreiben veröffentlicht, um den Vergabestellen aufzuzeigen, welche vergaberechtlichen Vorgaben in welchem Umfang genutzt werden sollen. Für die Bundesverwaltung wurden verbindliche Handlungsleitlinien für Vergaben erstellt, in denen Erleichterung durch Anhebung der Wertgrenzen sowie die freie Wahl der Verfahrensart enthalten sind. Ähnlich geschah es auf Landesebene.
Welche Funktion haben Vergabeerleichterungen?
Vergabeerleichterungen haben grundsätzlich die Funktion, Vergabeverfahren für die öffentlichen Auftraggeber einfacher zu gestalten. Dies kann zum einen schnellere, flexiblere und effektivere Vergabeverfahren umfassen, zum anderen aber auch bedeuten, dass Auftraggeber unter bestimmten Voraussetzungen gar kein Vergabeverfahren durchführen müssen, sondern den Auftrag direkt ohne Wettbewerb vergeben dürfen.
Solche Vergabeerleichterungen dienen dem Gesetzgeber und der Politik insbesondere dazu, die Wirtschaft zu steuern. Im Rahmen von Wirtschaftskrisen sollen solche Erleichterungen für ein Ankurbeln der Wirtschaft sorgen. Wenn öffentliche Auftraggeber ihre Beschaffungen zügiger tätigen und ihren Bedarf schneller decken können, kommt es unter Umständen zu schnelleren und damit zu häufigeren Beschaffungen. Diese sollen sich sowohl auf das Angebot als auch auf die Nachfrage positiv auswirken.
Fazit:
Öffentliche Auftraggeber sind insbesondere in Krisensituationen zwecks Ankurbeln der Wirtschaft aufgerufen, durchaus von Vergabeerleichterungen Gebrauch zu machen. Sie sollten die ihnen zur Verfügung gestellten Möglichkeiten auf der einen Seite daher nutzen und die Spielräume mutig ausschöpfen. Auf der anderen Seite ist Vorsicht geboten: Eine Vielzahl der vermeintlichen Vergabeerleichterungen schafft keine neuen Tatbestände für erleichterte Vergabeverfahren. Sie erläutert lediglich, wie bereits vorhandene Vorschriften erschöpfend genutzt werden können. Bei Überschreitung der Grenzen drohen dann Beanstandungen durch Rechnungshöfe, Prüfbehörden und Rügen sowie Nachprüfungsverfahren durch Bieter.
Als Prüfer, insbesondere der Vergaberechtsstelle, lag sein Schwerpunkt mehrere Jahre in den Bereichen Zuwendungs-, Vergabe- und EU-Beihilfenrecht. Jetzt ist Michael Pilarski als Volljurist in der Rechtsabteilung der NBank in den Bereichen Vergabe-, Vertrags- sowie Auslagerungsmanagement tätig. Darüber hinaus sitzt er der Vergabekammer Niedersachsen bei, ist zugelassener Rechtsanwalt, übernimmt Referententätigkeiten sowie Schulungen im Zuwendungs- und Vergaberecht und ist Autor verschiedener Veröffentlichungen.Homepage: https://www.kanzlei-pilarski.de/de/