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Auch rügen will gelernt sein – Was ist zu beachten?

Die Vergabekammer Rheinland beschäftigt sich mit dem Zugang einer Rüge beim Auftraggeber. Die besondere Bedeutung ergibt sich daraus, dass ohne vorherige Rüge  ein Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB unzulässig ist („Rügeobliegenheit“).

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb Leistungen europaweit im Offenen Verfahren aus. Der späteren Antragstellerin wird nach § 134 GWB mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, deren Angebot auszuschließen.

Die spätere Antragstellerin rügt den beabsichtigten Ausschluss per Telefax am Freitag um 11.59 Uhr. Der Sendebericht des Faxgeräts enthält u. a. folgende Angaben: “Ü.-DAUER 00:02:22 SEITE(N) 05 ÜBERTR OK”. Das Fax-Protokoll des Auftraggebers enthält dagegen die Meldung “Übertragung nicht abgeschlossen (3 Seite(n) empfangen)”. Vollständig eingegangen sind nur die erste Seite des Schreibens, aus der sich die Identität des Bieters und das betroffene Vorhaben ergeben. Dagegen fehlte insbesondere die abschließende Seite mit der Unterschrift.

Nach der Absendung des Faxes mit der Rüge reicht der Bieter am selben Tag einen Nachprüfungsantrag ein, der bei der Vergabekammer um 14.44 Uhr eingeht.

 

Die Entscheidung

Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurück, weil der Vergaberechtsverstoß gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber nicht vor Einreichung des Nachprüfungsantrags gerügt wurde. In ihrer Entscheidung betont die Vergabekammer, dass Sinn und Zweck einer Rüge sei, dem Auftraggeber vor Antragseinreichung die Möglichkeit zu geben, dem Vergaberechtsverstoß selbst abzuhelfen und so ein verzögerndes Vergabenachprüfungsverfahren zu vermeiden.

Nach Ansicht der Vergabekammer war für eine Rüge per Telefax eine Unterschrift erforderlich. Eine aus dem Grundsatz von Treu und Glauben herzuleitende Pflicht des Auftraggebers, den Bieter auf das nur unvollständig angekommene Telefax hinzuweisen, wird von der Vergabekammer abgelehnt.

Die Vergabekammer Rheinland hebt in dem Beschluss weiter hervor, dass für die Wirksamkeit der Rüge der Zugang nach § 130 BGB maßgeblich ist. Dies bedeutet, dass eine erst nach Geschäftsschluss, also am Freitagnachmittag (11.59 Uhr!) eingegangene Rüge erst mit Wiederbeginn der Geschäftsstunden (das wäre Montagmorgen) zugeht.

Praxishinweis

Bei Einreichung einer Rüge ist Vorsicht geboten. Während die Rüge per E-Mail oder gar per WhatsApp nahezu formlos möglich ist, setzt die Vergabekammer Rheinland bei der Einreichung per Telefax noch eine Unterschrift voraus.

Die Betonung der Geschäftszeit bedeutet eine erhebliche Verkürzung der Rechtsschutzfristen für Bieter. Daher ist zu empfehlen, frühzeitig zu rügen und sich den Zugang der Rüge auch bestätigen zu lassen.

 

Autor

Dr. Karsten Kayser, Rechtsanwalt und Partner

Weitere Informationen


Datum: 23.07.2024
Gericht: Vergabekammer Rheinland
Aktenzeichen: VK 28/24
Typ: Beschluss
Wissen

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