Aktuelle Urteile

Mehrdeutige Anforderungen an „abgeschlossene Geschäftsjahre” – Vergabeunterlagen müssen eindeutig sein

Bei unklaren Formulierungen in Vergabeunterlagen darf ein Angebot nicht wegen vermeintlich falscher Angaben ausgeschlossen werden.

Der Fall

Ein öffentlicher Auftraggeber forderte in einem offenen Vergabeverfahren von den Bietern Angaben zum “durchschnittlichen Jahresumsatz in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren”. Ein Bieter gab in seiner Eigenerklärung Umsatzzahlen für die Jahre 2020, 2021 und 2022 an und fügte eine Bestätigung seiner Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bei, dass der Jahresabschluss 2023 noch nicht festgestellt sei. Der Auftraggeber schloss das Angebot aus und berief sich dabei auf § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV (fehlende geforderte Erklärung) und hilfsweise § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV (unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen). Er vertrat die Auffassung, mit “abgeschlossenen Geschäftsjahren” seien die letzten drei Kalenderjahre (2021, 2022, 2023) gemeint gewesen, unabhängig davon, ob hierfür bereits ein Jahresabschluss vorliege.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag des Bieters statt. Der Ausschluss des Angebots war rechtswidrig. Die Formulierung “abgeschlossene Geschäftsjahre” in den Vergabeunterlagen ist mehrdeutig und lässt unterschiedliche Interpretationen zu. Sie kann einerseits so verstanden werden, dass es sich grundsätzlich um die letzten drei Kalenderjahre vor Beginn des Vergabeverfahrens handelt, wobei es auf das Vorliegen von Jahresabschlüssen nicht ankommt. Hierfür spricht, dass der Auftraggeber an möglichst aktuellen Zahlen interessiert ist. Andererseits kann die Formulierung auch so verstanden werden, dass nur Geschäftsjahre gemeint sind, für die bereits ein Jahresabschluss vorliegt. Für dieses Verständnis spricht, dass der Auftraggeber abweichend von dem Wortlaut des § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV ausdrücklich “abgeschlossene Geschäftsjahre” (und nicht allein “Geschäftsjahre”) forderte. Auch aus kaufmännischer Sicht setzt ein “abgeschlossenes Geschäftsjahr” das Vorliegen eines Jahresabschlusses voraus.

Praxishinweis

Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung klarer Formulierungen in Vergabeunterlagen:

  1. Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, ihre Vergabeunterlagen so eindeutig zu gestalten, dass die Bieter ihnen eindeutig und sicher entnehmen können, welche Erklärungen von ihnen in welchem Stadium des Vergabeverfahrens abzugeben sind.
  2. Der Ausschluss eines Angebots wegen Änderungen der Vergabeunterlagen kommt nur in Betracht, wenn der Auftraggeber die Vorgaben eindeutig und unmissverständlich formuliert hat.
  3. Bei Unklarheiten sind aber auch die Bieter gefordert, indem Sie diesbezügliche Bieterfragen stellen.

Weitere Informationen


Autor: Dr. Karsten Kayser
Datum: 16.01.2025
Gericht: Vergabekammer Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen: VK LSA 14/24
Typ: Beschluss
Wissen

Diese Urteile könnten Sie auch interessieren

24.10.2025 | Urteil

Fehlende Verpflichtungserklärungen und Konzernreferenzen – Zur Eignungsprüfung bei Bezugnahme auf konzernverbundene Unternehmen

Konzernreferenzen zählen nur mit Verpflichtungserklärung. Die VK Bund zeigt, warum Bieter bei der Eignungsprüfung keine formellen Fehler riskieren sollten.
Mehr erfahren
16.09.2025 | Urteil

Änderung von Vergabeunterlagen bei Referenzangaben im Teilnahmewettbewerb

Fehlerhafte Referenzangaben im Teilnahmewettbewerb können zum Ausschluss führen – selbst kleine Abweichungen haben laut aktueller Entscheidung strenge Folgen.
Mehr erfahren
18.08.2025 | Urteil

Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers – IT-Beschaffung an Schulen

Schulen dürfen gezielt interaktive Displays eines Herstellers ausschreiben, wenn objektive Gründe vorliegen. Was das für Bieter bedeutet, erfahren Sie hier auf Vergabe24.
Mehr erfahren
21.07.2025 | Urteil

Mehrdeutige Anforderungen an „abgeschlossene Geschäftsjahre” – Vergabeunterlagen müssen eindeutig sein

Ein Angebot darf bei unklarer Forderung nach „abgeschlossenen Geschäftsjahren“ nicht ausgeschlossen werden – Vergabekammer stärkt Bieterrechte bei Unsicherheiten.
Mehr erfahren
18.06.2025 | Urteil

EuGH: Kein Vergabeverfahren ohne Teilnahmewettbewerb bei zurechenbaren Ausschließungsrechten

Der EuGH schränkt Vergaben ohne Teilnahmewettbewerb weiter ein: Ausschließlichkeitsrechte allein reichen nicht – Auftraggeber müssen Marktöffnung aktiv ermöglichen.
Mehr erfahren
11.06.2025 | Urteil

Zur Kombination von Referenzleistungen

Referenz zu klein? Gericht kippt Zuschlag bei öffentlicher Vergabe – warum ein Einzelauftrag über 10.000 Stück entscheidend war und was Bieter jetzt beachten müssen.
Mehr erfahren
21.05.2025 | Urteil

Dokumentationsmangel nicht per se wettbewerbswidrig

Ein Dokumentationsmangel führt nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit eines Vergabeverfahrens. Der Mangel muss sich auf die Chancen des Bieters im Wettbewerb nachteilig ausgewirkt haben.
Mehr erfahren
22.04.2025 | Urteil

Zur wirksamen Aufhebung von Vergabeverfahren

Eignungskriterien fehlen, Ausschreibung aufgehoben – was nun? Alles zur aktuellen Entscheidung und rechtlichen Einordnung jetzt im Überblick.
Mehr erfahren
17.03.2025 | Urteil

Kein Vertrauenstatbestand bei fehlender Eignung

Fehler bei der Eignungsprüfung! Trotz Einladung zum Verfahren erfolgte der Ausschluss. Lernen Sie, wie Sie solche Vergabeprobleme vermeiden können!
Mehr erfahren
20.02.2025 | Urteil

Fehlerhafte Gestaltung der Fachloszuschnitte: Verstoß gegen Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatz?

Ein fehlerhafter Fachloszuschnitt kann den Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatz verletzen und zur Aufhebung eines Vergabeverfahrens führen. Erfahren Sie, wie sich Bieter schützen und welche Vorgaben öffentliche Auftraggeber beachten müssen.
Mehr erfahren
Zum Wissensbereich