Was ist passiert?
Die Auftraggeberin schrieb Kanalbauarbeiten im offenen Verfahren europaweit aus. Zu den ausgeschriebenen Leistungen gehörten u.a. Schachtbauwerke, Anschlusskanäle, Übernahme von Hausanschlüssen und Straßeneinläufen, vollständige Wiederherstellung der Oberflächen.
Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Nebenangebote sollten in folgendem Umfang zugelassen sein:
- Möglichkeit eines alternativen Bauverfahrens, vorausgesetzt die Herstellung in geschlossener Bauweise.
- Preisdarstellung und Erfassung von sämtlichen dafür notwendigen Arbeiten, u.a. im Hauptangebot beschriebenen alten entfallenen zusätzlichen Leistungen, positionsweise mit den entsprechenden Mengenvordersätzen im Nebenangebot.
Zudem waren die bauzeitlichen Auswirkungen darzulegen und weitere detaillierte Anforderungen für die Einreichung von Angeboten zu erläutern.
Eine Bieterin, die sich in ihren Rechten verletzt fühlte, weil sie ein Pauschalpreisangebot abgegeben hatte, das ausgeschlossen wurde, reichte daher einen Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer ein. Nach Entscheidung durch die Vergabekammer hat die Antragstellerin Beschwerde beim zuständigen Vergabesenat beim OLG Frankfurt eingereicht.
Entscheidung
Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Die Vergabestelle hatte das Nebenangebot zu Recht ausgeschlossen. Denn das Pauschalpreisangebot war nicht zugelassen.
Nach der hier maßgeblichen Regelung in § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A-EU könnten Nebenangebote bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nur dann gewertet werden, wenn sie vom Auftraggeber ausdrücklich zugelassen worden seien. Die Vorschrift folge einem völlig anderen Regelungsmechanismus, wie es für den Unterschwellenbereich im ersten Abschnitt der VOB/A gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A vorgeschrieben sei.
Während der Auftraggeber dort angeben müsse, ob er Nebenangebote nicht oder nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zulasse, könne der Bieter hier nur dann auf eine Wertung seiner Nebenangebote hoffen, wenn der Auftraggeber Nebenangebote entweder uneingeschränkt oder eingeschränkt für den vom Bieter angebotenen Bereich ausdrücklich zugelassen habe.
Ein Nebenangebot liege vor, wenn ein Bieter eine von den Vertragsunterlagen abweichende Art der Leistung anbiete, unabhängig von dem Umfang und dem Gegenstand der Änderung. Eine Abweichung könne daher in technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht erfolgen.
Ein technisches Nebenangebot enthalte eine abweichende Lösung von den Vorgaben in den Vergabeunterlagen. Rechtliche Abweichungen beträfen in der Regel den Inhalt des Bauvertrags. Ein wirtschaftliches oder kaufmännisches Nebenangebot liege beispielsweise im Angebot einer abweichenden Vergütungsform oder im Angebot bestimmter Preisnachlässe unter bestimmten Bedingungen, wie der Beauftragung mehrerer Lose.
Praxistipp
Bieter müssen bereits in der Auftragsbekanntmachung zwingend prüfen, ob und in welchem Umfang Nebenangebote im Rahmen des Vergabeverfahrens, an dem sie teilnehmen, zugelassen sind. Sollte ein Einheitspreisvertrag ausgeschrieben worden sein, sind Pauschalpreisangebote grundsätzlich unzulässig und die Chancen der Bieter auf eine erfolgreiche Nachprüfung schwindend gering. Ist die Ausschreibung eines Einheitspreisvertrags zweifelhaft, steigen die Chancen, dass der Bieter mit einem Pauschalpreisangebot den Zuschlag bei einem wirtschaftlichen Angebot erhält, weil er in seinen Vergaberechten verletzt worden ist.
Autor
Rechtsanwalt Michael Pilarski, Rechtsanwaltskanzlei Pilarski
Weitere Informationen
Datum: 24.11.2021
Gericht: OLG Frankfurt
Aktenzeichen: 11 Verg, 4/21
Typ: Beschluss