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Vergaberecht, aktuelle Urteile

Rüge vor Nachprüfungsantrag

Reihenfolge Rüge und Nachprüfungsantrag: Der Zeitpunkt der Antragstellung bei der Vergabekammer ist entscheidend, nicht der Zeitpunkt der Übermittlung an den Auftraggeber.

Eine Rüge ist nicht nur ein kostengünstiger Rechtsbehelf in Vergabeverfahren, sondern Zulässigkeitsvoraussetzung für ein Verfahren vor der Vergabekammer. In zeitlicher Hinsicht gibt das GWB vor, dass zunächst gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zu rügen ist, bevor ein Nachprüfungsantrag eingereicht wird. Wird diese Reihenfolge nicht eingehalten, ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig.

Was war passiert?

Der öffentliche Auftraggeber hat EU-weit eine Rahmenvereinbarung über die Miete von Multifunktionsgeräten im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb ausgeschrieben. Die Antragstellerin im späteren Nachprüfungsverfahren ist die aktuelle Dienstleisterin des Auftraggebers. Sie beteiligte sich mit einem Angebot an dem Vergabeverfahren. Die Antragstellerin konnte sich aber im Vergabeverfahren nicht durchsetzen. Mit Vorinformation (§ 134 GWB) vom 27.11.2018 informierte sie der Auftraggeber darüber, dass der Zuschlag nach Ablauf der Wartefrist frühestens am 08.12.2018 auf ein Konkurrenzangebot erteilt werden soll.

Die Antragstellerin rügte daraufhin vermeintliche Vergabefehler mit einem auf den 05.12.2018 datierten Rügeschreiben. Am 06.12.2018 hat die Antragstellerin per Fax sodann den Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer eingereicht (Faxprotokoll der Vergabekammer: 12:52 Uhr). Dem öffentlichen Auftraggeber wurde der Nachprüfungsantrag von der Vergabekammer ebenfalls noch am 06.12.2018 per Fax übermittelt (17:06 Uhr).

Die auf den 05.12.2018 datierte Rüge ist dem öffentlichen Auftraggeber per Fax nachweisbar erst nach der Zustellung des Nachprüfungsantrages an die Vergabekammer zugegangen (Faxprotokoll des Auftraggebers: 14:23 Uhr). Auf dem Postweg erreichte die Rüge den Auftraggeber sogar erst am 10.12.2018. Der öffentliche Auftraggeber machte deshalb geltend, dass der Nachprüfungsantrag schon wegen der Verletzung der Rügeobliegenheit unzulässig sei. Die Antragstellerin habe nicht wie im GWB vorgesehen, zunächst gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber gerügt und erst danach einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer eingereicht.

Der Beschluss der Vergabekammer, Begründung

Die Vergabekammer folgte der Argumentation des öffentlichen Auftraggebers und wies den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurück. Die Antragstellerin habe ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht eingehalten. Nach dieser Vorschrift ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn ein Antragsteller den Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichung des Nachprüfungsantrages erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von 10 Kalendertagen gerügt hat.

Vor der Einreichung eines Nachprüfungsantrags muss gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber gerügt werden. Maßgeblich für die Beurteilung, ob die Rüge vor der Einreichung eines Nachprüfungsantrags dem öffentlichen Auftraggeber zugegangen ist, sei der Zeitpunkt der Antragstellung (Nachprüfungsantrag) bei der Vergabekammer (Faxeingang um 12:52 Uhr). Im konkreten Fall lagen die zeitlichen Abläufe nach der Überzeugung der Vergabekammer so, dass die Rüge zeitlich erst nach der Einreichung des Nachprüfungsantrages dem öffentlichen Auftraggeber zugegangen ist. Die Antragstellerin hätte allenfalls durch die Vorlage eines Faxprotokolls oder einer Rüge-E-Mail beweisen können, dass die Rüge noch vor dem Nachprüfungsantrag gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber erfolgt ist. Das hat die Antragstellerin aber nicht getan.

In den festgestellten zeitlichen Abläufen sieht die Vergabekammer eine Verletzung der Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB. Zwar besteht keine „Wartefrist“ zwischen der Rüge gegenüber dem Auftraggeber und der Einlegung des Nachprüfungsantrages bei der Vergabekammer. Dem Sinn und Zweck der Rüge, dem Auftraggeber eine Selbstkorrektur des eigenen Vergabehandelns zu ermöglichen, werde aber nicht genügt, wenn der Vergabenachprüfungsantrag vor der Rüge erfolgt. Der öffentliche Auftraggeber hat in diesem Fall keine Möglichkeit zur Korrektur (Abhilfe).
Eine Ausnahme von der Rügeobliegenheit oder Umstände, die die Antragstellerin an der Rüge vor dem Nachprüfungsantrag gehindert hätten, sieht die Vergabekammer nicht. Sie hat den Nachprüfungsantrag deshalb als unzulässig zurückgewiesen.

Praxistipp

Die Entscheidung der VK Brandenburg zeigt, dass die GWB-Vorgaben zur Rüge ernst zu nehmen sind. Sinn und Zweck der Rüge ist es, den öffentlichen Auftraggeber zur Korrektur anzuhalten. Dies ist nicht möglich, wenn die Rüge erst nach der Einreichung des Nachprüfungsantrages dem öffentlichen Auftraggeber zugeht („zur Kenntnis gelangt“). Den Nachprüfungsantrag hat die Vergabekammer deshalb als unzulässig zurückgewiesen. Um den vergaberechtlichen Rechtsschutz vor der Vergabekammer nicht zu verlieren, müssen Bieter deshalb die Reihenfolge des GWB penibel einhalten: Eine Rüge muss nachweisbar (!) beim öffentlichen Auftraggeber eingegangen sein, bevor der Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer eingereicht wird. Der korrekte zeitliche Ablauf kann durch E-Mail-Lesebenachrichtigungen, Kurierprotokolle, Zugangsbestätigungen oder das Faxprotokoll nachgewiesen werden.

Dr. Corina Jürschik, LL.M. ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht bei OPPNLÄNDER Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist seit vielen Jahren im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe tätig. Sie unterstützt Bieter und Bewerber in Vergabeverfahren bei der Wahrung ihrer Rechte und berät öffentliche Auftraggeber bei der rechtssicheren Ausgestaltung von Vergabeverfahren.

Autor: Dr. Corina Jürschik, LL.M., Fachanwältin für Vergaberecht

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