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Vergaberecht, aktuelle Urteile

Fehlende Auskömmlichkeit von Angebotspreisen

Bieter können bei Kenntnis der Marktpreise die fehlende Auskömmlichkeit der Angebote der Mitbieter erfolgreich angreifen.

Was ist passiert?

Die Vergabestelle hat ein europaweites offenes Verfahren für Umbauarbeiten, die insbesondere das Lösen und Verwerten von Boden und Fels inklusive Entsorgung von gefährlichem und ungefährlichem Abfall zum Gegenstand hatten, durchgeführt. Dabei hat sie den Preis als alleiniges Zuschlagskriterien festgelegt.

Die zweitgünstigste Bieterin, spätere Antragstellerin, hatte ein Angebot abgegeben, das ca. 35% teurer als dasjenige der für den Zuschlag vorgesehenen Bieterin, der Beigeladenen, war. Aus diesem Grund forderte die Vergabestelle diese Bieterin auf, eine Erklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung in Bezug auf 40 Einzelpositionen ihres Angebots abzugeben.

Darüber hinaus forderte die Vergabestelle sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene auf, diverse Nachweise vorzulegen. Die Beigeladene legte insbesondere ein ergänztes Nachunternehmerverzeichnis sowie die Urkalkulation samt Kalkulation der Nachunternehmer vor. Sie erklärte, welcher Nachunternehmer den Transport der ungefährlichen Abfälle vornehme. Für die Position des Lösens und Verwertens von Boden und Fels benannte sie keine Nachunternehmer.

Der Antragstellerin ist nach Prüfung und Wertung der Angebote durch die Vergabestelle mitgeteilt worden, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt wurde, weil es nicht das wirtschaftlichste gewesen sei und der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilt, werden solle.

Nach Rüge der Antragstellerin, der nicht abgeholfen wurde, leitete diese dann das Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer des Bundes hinsichtlich des nach ihrer Ansicht ungewöhnlich niedrigen Angebots der Beigeladenen unter Verstoß gegen § 16d EU Abs. 1 VOB/A ein.

Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag war erfolgreich.

Zunächst stellte die Vergabekammer fest, dass die antragstellende Bieterin die Verstöße ordnungsgemäß und fristgerecht gerügt hat. Dem Vorwurf der Vergabestelle, die Rüge sei unzulässig „ins Blaue hinein“ erklärt worden, erteilte sie eine Absage. An zu rügende Vergaberechtsverstöße, denen Umstände in der Sphäre der Vergabestelle bzw. eines anderen Bieters liegen, dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, sodass die Bieterin rügen darf, was sie auf Grundlage ihres Informationsstandes redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf, wenn ein Mindestmaß an konkreter Darlegung eingehalten wird. Das war vorliegend der Fall, da die Antragstellerin sich mit den konkreten Kalkulationen auseinandersetzt hat.

Die Vergabekammer stellte dann zwar fest, dass die Vergabestelle den ungewöhnlich niedrigen Preis der Beigeladenen zu Recht aufgegriffen und überprüft hat. Die Entscheidung der Vergabestelle, der Angebotspreis der Beigeladenen sei zufriedenstellend aufgeklärt und das Angebot daher zuschlagsfähig, war jedoch fehlerhaft. Es fehlte eine ordnungsgemäße Grundlage für die Beurteilung, dass ein solches Angebot angemessen sei bzw. bei einem solchen Unterkostenangebot der Bieter wettbewerbskonform in der Lage sei, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen. Es muss eine erneute Prüfung hinsichtlich der Entsorgungsleistung und dem damit verbundenen Transport des Materials als Nachunternehmerleistung vorgenommen werden.

Denn die Aufklärungspflicht hinsichtlich des Angebotspreises, der ungewöhnlich niedrig erscheint, dient der Vergabestelle, zu entscheiden, ob die Bieterin in der Lage sein wird, die Leistung zu dem angebotenen Preis vertragsgerecht zu erbringen. Die Vergabestelle ist jedenfalls dann verpflichtet, in die Prüfung der Preisbildung einzutreten, wenn der Abstand zwischen dem Angebot der bestplatzierten und dem Angebot der zweitplatzierten Bieterin mehr als 20 % beträgt. Die Ablehnung des Zuschlags durch die Vergabestelle ist grundsätzlich dann geboten, wenn verbleibende Ungewissheiten an der Auskömmlichkeit des Angebots nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden können.

Praxistipp:

Sollten sich Bieter in ihren Rechten im Vergabeverfahren verletzt sehen, so müssen sie zunächst dringend beachten, dass behauptete Vergabeverstöße grundsätzlich fristgemäß zu rügen sind. Hier muss ein gewisses Maß an konkreten Darlegungen hinsichtlich der Verstöße eingehalten werden. Hinsichtlich der Umstände, die jedoch der Sphäre der Vergabestelle bzw. derjenigen eines anderen Bieters zuzuordnen sind, reicht es aus, wenn der verletzte Bieter die Verstöße als wahrscheinlich oder als möglich ansehen darf und sich in seiner Rüge der Auskömmlichkeit konkret mit den Angebotskalkulationen auseinandergesetzt hat.

Darüber hinaus liegt zwar die Beurteilung der zufriedenstellenden Aufklärung der Angebotspreise im Ermessen der Vergabestelle, jedoch darf sie dieses nicht fehlerhaft ausüben, was aber dann der Fall ist, wenn sie sich kein vollständiges Bild über die Tatsachengrundlage für die Angebotskalkulation gemacht hat. In diesem Fall kann ein Bieter mit guter Marktpreiskenntnis den Zuschlag an den Konkurrenten verhindern und den öffentlichen Auftrag unter Umständen für sich gewinnen.

Autor:

Rechtsanwalt Michael Pilarski, Rechtsanwaltskanzlei Pilarski

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