Was ist passiert?
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) schrieb einen Bauauftrag in einem europaweiten Verfahren aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Eignungskriterien nannte er in der Auftragsbekanntmachung nicht. Zunächst schloss der AG die spätere Antragstellerin wegen fehlender Eignung vom Vergabeverfahren aus. Hiergegen wehrte sich die Antragstellerin in einem ersten Nachprüfungsverfahren, in dessen Rahmen die Vergabekammer den rechtlichen Hinweis erteilte, dass eine Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Zeitpunkt vor Auftragsbekanntmachung unausweichlich erscheine, weil die Eignungskriterien nicht wirksam bekanntgemacht worden seien. Der AG setzte sich mit dem rechtlichen Hinweis auseinander und informierte die Bieter über die Aufhebung der Ausschreibung und die Absicht zur erneuten Ausschreibung mit überarbeiteten Eignungsanforderungen.
In einem zweiten Nachprüfungsverfahren begehrte die Antragstellerin daraufhin die Aufhebung der Aufhebung und die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Zeitpunkt vor der Angebotswertung – hilfsweise die Feststellung, dass die Aufhebung rechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletze. Die Vergabekammer entschied, dass die Aufhebung mangels Vorliegens eines Aufhebungsgrunds nach § 17 EU Abs. 1 VOB/A zwar rechtswidrig, aber wirksam gewesen sei, weil die Absicht zur Neuvergabe mit wirksam bekanntgemachten Zuschlagskriterien einen sachlichen Grund darstelle. Hiergegen legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein und begehrte weiter die Aufhebung der Aufhebung.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Die Aufhebung des Vergabeverfahrens war wirksam. Weder das allgemeine Zivilrecht noch das Vergaberecht sähen eine Verpflichtung vor, ein eingeleitetes Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abzuschließen. Dies gelte auch, wenn keiner der zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände des § 17 EU Abs. 1 VOB/A erfüllt sei, sofern ein sachlicher Grund für die Aufhebung vorliege. Die Vergabe öffentlicher Aufträge diene nicht dem Bieterinteresse, sondern allein der Befriedigung des öffentlichen Beschaffungsbedarfs.
Diese Sichtweise ergebe sich auch aus § 63 Abs. 1 S. 2 VgV, der ausdrücklich regelt, dass der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, den Zuschlag zu erteilen. Dennoch bewege sich der öffentliche Auftraggeber bei der Entscheidung über die Aufhebung auch in Bezug auf deren Wirksamkeit nicht in einem rechtsfreien Raum. Eine Anordnung zur Fortführung des Vergabeverfahrens komme insbesondere in Betracht, wenn die Aufhebung als Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten erscheine. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn die Aufhebung nur zum Schein erfolge, um außerhalb des Vergabeverfahrens den Auftrag an ein anderes Unternehmen zu erteilen. Im vorliegenden Fall sah der Senat eine Missbrauchskonstellation insbesondere aufgrund der fehlenden Möglichkeiten zur Durchführung einer Eignungsprüfung als nicht gegeben an.
Praxishinweis
Vergaberechtlich ist es regelmäßig sehr schwierig, die Fortsetzung eines Vergabeverfahrens zu erwirken. Bei der Aufhebung ist zwischen Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit zu differenzieren. Diese Differenzierung verwischt in der vorliegenden Entscheidung etwas, weil der Vergabesenat in der Entscheidung ergänzend weitere Aspekte wie das Vorliegen von Ermessensfehlern prüft. Möchte ein Bieter nach erfolgter Aufhebung die Fortsetzung eines Vergabeverfahrens durchsetzen, genügt es nicht, die Rechtswidrigkeit der Aufhebung darzulegen.
Weitere Informationen
Autor: Dr. Karsten Kayser
Datum: 01.11.2024
Gericht: OLG Naumburg
Aktenzeichen: 6 Verg 3/24
Typ: Beschluss