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Zur Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB

Von einer Rüge vor Einreichung des Nachprüfungsantrags kann auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden.

Was ist passiert?

Der Auftraggeber schrieb im Jahr 2019 Leistungen aus. Ein Bieter gab ein Angebot ab. Der Auftraggeber informierte ihn darüber, dass sein Angebot nicht berücksichtigt werden konnte.

Der betreffende Bieter beauftragte einen Rechtsanwalt mit der Rüge. Das Sekretariat des Rechtsanwaltes sandte die Rüge per E-Mail an den Auftraggeber. Die E-Mail-Adresse enthielt einen Tippfehler, sodass die Rüge den Auftraggeber nicht erreichte. Einen Tag nach Absenden der Rüge stellte der Bieter einen Nachprüfungsantrag. Die E-Mail mit der Rüge erhielt der Auftraggeber erst einen Tag nachdem er den Nachprüfungsantrag von der Vergabekammer übermittelt bekam.

Die VK Berlin wies den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurück. Auf die sofortige Beschwerde des Bieters hob das Kammergericht den Beschluss der Vergabekammer auf und verpflichtete die Vergabekammer, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats, erneut zu entscheiden.

Was wurde entschieden?

Die VK Berlin wies den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurück. Der Bieter hatte es versäumt, vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens das Verhalten des Auftraggeber zu rügen.

Der Bieter muss das Verhalten des Auftraggeber, das eine Missachtung vergaberechtlicher Vorschriften ergeben könnte, rügen. Die Rüge kann nicht von einer vorherigen Akteneinsicht abhängig gemacht werden, denn das Akteneinsichtsrecht erstreckt sich nur auf Umstände, die rechtzeitig gerügt wurden. Andernfalls könnte der Bieter ins Blaue hinein rügen und den Beschaffungsvorgang endlos unbegründet verzögern.

Eine Wiedereinsetzung in die abgelaufene Rügefrist ist nicht möglich. Es handelt sich um eine gesetzliche Frist, die nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten steht.

Vom Erfordernis einer Rüge vor Einreichung des Nachprüfungsantrags kann auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden. Eine Rüge soll dem Auftraggeber frühzeitig die Möglichkeit zur Überprüfung und ggf. Korrektur seiner Entscheidung geben und unnötige Nachprüfungsverfahren mit daraus resultierenden Verzögerungen der Beschaffungsverfahren vermeiden.

Praxistipp

Vor Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens muss der Bieter vermutete Vergaberechtsverstöße gegenüber dem Auftraggeber rügen. Zur Not ist die Rüge wenige Stunden vor Absendung des Nachprüfungsantrages gegenüber dem Auftraggeberzu erheben.

Zudem empfiehlt es sich beim Versenden von wichtigen E-Mails eine Lesebestätigung anzufordern und sich ggf. den Erhalt des Dokumentes telefonisch bestätigen zu lassen.

Autor:

Rechtsanwalt Ronny Lohmann ist einer der Partner von Vergabekanzlei abante Rechtsanwälte Kins Lohmann PartG mbB in Leipzig. Seit Jahr 2005 arbeitet er als selbständiger Rechtsanwalt. Seine Tätigkeitsbereiche:

  • Vergaberecht, projektbegleitende Rechtsberatung (Bau/Planung, ITK)
  • Privates und öffentliches Baurecht
  • Grundstücksrecht / Leitungsrechte / Gestattung / Grundbuchbereinigung
  • Recht der Versorgungswirtschaft / technischen Infrastruktur/
  • Breitband- und Telekommunikationsrecht, Vertragsrecht.  

Weitere Informationen


Datum: 15.05.2020
Gericht: VK Berlin
Aktenzeichen: VK-B1-15/19
Typ: Beschluss
Wissen

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