Fachbeitrag

Auswirkungen der Verfahrensarten auf die Bieter

Ausgangsbeispiel

Angenommen, eine Stadt benötigt für ihr Rathaus eine neue Beleuchtung. Sobald der Auftragswert den EU-Schwellenwert erreicht, stehen ihr als Vergabeverfahren das offene Verfahren und das nicht offene Verfahren zur Verfügung. Unterhalb des europäischen Schwellenwerts kann sie die öffentliche Ausschreibung und die beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb wählen. Was bedeutet dies für die Unternehmen, die an dem Vergabeverfahren teilnehmen möchten?

Kein Teilnahmewettbewerb, keine Verhandlung

Zu den Standardverfahren für europaweite Ausschreibungen gehört das offene Verfahren. Die Entsprechung dazu auf nationaler Ebene ist die öffentliche Ausschreibung. Beide Verfahrensarten werden mit einer Auftragsbekanntmachung eingeleitet, die alle interessierten Unternehmen zur Abgabe eines Angebots auffordert. Hat der Auftraggeber eine dieser Verfahrensarten gewählt, müssen die Bieter von Anfang an komplette Angebote einreichen. Diese beinhalten auch die Unterlagen zur Prüfung der Eignung der Bieter. Ein Teilnahmewettbewerb findet nicht statt.

Nach Angebotsabgabe müssten die Bieter nichts weiter unternehmen. Sie müssen nur noch die Entscheidung des Auftraggebers abwarten. Der Auftraggeber reduziert weder die Anzahl der Teilnehmer, noch finden Verhandlungen statt. Da in der Auftragsbekanntmachung alle interessierten Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, kann die Anzahl der Konkurrenten erheblich sein.

Die Unternehmen müssen also bei der Teilnahme an diesen Verfahrensarten (nur) den Aufwand für die Erstellung eines vollständigen Angebots einplanen. Dieser Aufwand war vergeblich, wenn ein anderes Angebot bezuschlagt wird.

Teilnahmewettbewerb, keine Verhandlung

Für die Unternehmen ist der Aufwand anfangs geringer, wenn der Auftraggeber die anderen Standardverfahren wählt. Auf EU-Ebene ist dies das nicht offene Verfahren, auf nationaler Ebene die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb.

Beiden Verfahrensarten geht ein Teilnahmewettbewerb voraus, der mittels Auftragsbekanntmachung gegenüber allen Unternehmen angekündigt wird. Das bedeutet, dass die an dem Auftrag interessierten Unternehmen nicht sofort ein Angebot erstellen müssen. Sie müssen zunächst lediglich einen Teilnahmeantrag einreichen, in dem sie ihre Eignung nachweisen. Die Erstellung eines Teilnahmeantrags ist in der Regel deutlich weniger umfangreich als die Erstellung eines Angebots.

Nur ausgewählten Unternehmen, die die Eignungsprüfung bestehen, wird anschließend die Möglichkeit zur Angebotsabgabe gegeben. Der Auftraggeber darf die Anzahl der Bieter, die er zur Angebotsabgabe auffordert, noch weiter begrenzen. Die Bieter haben also nur dann den Aufwand der Angebotserstellung, wenn sie ihre Eignung nachgewiesen haben. Ihre Chancen auf Zuschlagserteilung sind folglich zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe höher als in den zuvor genannten Standardverfahren. Verhandlungen sind auch in diesen Verfahrensarten nicht zulässig.

Variante

Was ist aber, wenn die Stadt den Auftrag nicht in einem Standardverfahren vergeben möchte? Nehmen wir an, es liegen Ausnahmevoraussetzungen vor, und die Stadt darf ein Vergabeverfahren mit Verhandlungsmöglichkeit wählen. Welche Auswirkungen hat dies auf die Bieter?

Teilnahmewettbewerb und Verhandlung

Verhandlungen dürfen stattfinden, wenn auf europäischer Ebene ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, ein wettbewerblicher Dialog oder eine Innovationspartnerschaft durchgeführt wird. Das Gegenstück auf nationaler Ebene ist die Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb. Diesen Verfahrensarten ist ein Teilnahmewettbewerb vorgeschaltet, zu dessen Teilnahme alle Unternehmen durch eine Auftragsbekanntmachung aufgefordert werden. Nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs haben nur diejenigen Bieter den Aufwand der Angebotserstellung und der Verhandlungsteilnahme, die ihre Eignung nachgewiesen haben. Nur sie werden nämlich vom Auftraggeber zur Angebotsabgabe aufgefordert.

Weil die Bieter an Verhandlungen teilnehmen und sodann ihre Angebote überarbeiten müssen, können diese Verfahrensarten relativ langwierig sein. Die Bieter sollten also bedenken, dass diese Verfahrensarten sie stärker beanspruchen als die anderen Verfahrensarten.

Allerdings bieten die Verhandlungen eine Möglichkeit für die Bieter, ihre Ideen in das Vergabeverfahren einfließen zu lassen. Zudem können sie sich im persönlichen Gespräch mit dem Auftraggeber positionieren. Der Auftraggeber kann die Anzahl der Angebote und damit der Konkurrenten im Laufe der Verhandlungen beziehungsweise des Dialogs reduzieren. In der Innovationspartnerschaft, die selten durchgeführt wird, ist es sogar möglich, dass mehrere Bieter den Zuschlag erhalten.

Verhandlung ohne Teilnahmewettbewerb

Auch in dem europaweiten Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb beziehungsweise in der nationalen Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb dürfen Verhandlungen stattfinden. Der Unterschied zu den Verfahrensarten mit Teilnahmewettbewerb besteht darin, dass der Auftraggeber geeignete Unternehmen ohne Auftragsbekanntmachung direkt zur Angebotsabgabe auffordert. Dies verkürzt das ansonsten langwierige Verfahren und erhöht die Wahrscheinlichkeit der Zuschlagserteilung, da nur ausgewählte Bieter an dem Vergabeverfahren teilnehmen.

Sonderfall

In der beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb bittet der Auftraggeber ebenfalls nur diejenigen Unternehmen direkt um Angebotsabgabe, die er als geeignet erachtet. Ein öffentlicher Aufruf zur Angebotsabgabe an alle Unternehmen entfällt. Verhandlungen finden nicht statt, sodass die Verfahrensdauer relativ kurz ist.

Die beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb existiert nur auf nationaler Ebene. Hier sind die Chancen für die Bieter, den Zuschlag zu erhalten, allerdings relativ hoch.

Fazit

Die Verfahrensarten mit Teilnahmewettbewerb dauern zwar länger als das offene Verfahren und die Öffentliche Ausschreibung. Dafür sind die Zuschlagschancen zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe aufgrund der beschränkten Anzahl an Bietern höher.

Noch vielversprechender sind das Verhandlungsverfahren, die Verhandlungsvergabe, die beschränkte Ausschreibung – jeweils ohne Teilnahmewettbewerb. Aufgrund der kürzeren Verfahrensdauer und der Vorauswahl der Bieter dürfte es sich in diesen Fällen lohnen, ein Angebot zu erstellen.

Verhandlungen verlängern das Vergabeverfahren zwar und können aufwändig sein, Bieter können darin aber auch aktiv Einfluss auf das Vergabeverfahren nehmen.

Autor

Ute Klemm ist Gründerin der innovativen E-Learning-Plattform VERGABECAMP. Diese Plattform hat sich auf Online-Selbstlernkurse im Vergaberecht spezialisiert und richtet sich an Bieter, Auftraggeber und Juristen. Zuvor war sie acht Jahre lang als Rechtsanwältin im Vergaberecht in einer der größten deutschen Sozietäten (Heuking Kühn Lüer Wojtek) tätig. Dort begleitete sie komplexe Vergabeverfahren, unterstütze in Nachprüfungsverfahren und beriet Auftraggeber und Bieter in sämtlichen Fragen des öffentlichen Auftragswesens. Sie ist seit vielen Jahren als Referentin und Autorin aktiv. In The Legal 500 wurde sie für ihr “umfangreiches Wissen im Bereich der öffentlichen Vergabe” hervorgehoben. Homepage: www.vergabecamp.de/

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