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Vergaberecht, aktuelle Urteile

COVID 19 - Notvergabe ja, aber nicht schrankenlos

Auftraggeber müssen bei ihrer Entscheidung zur Verfahrensweise den Grundsatz zur Ausübung pflichtgemäßen Ermessens sowohl auf Tatbestandsebene, als auch auf der Rechtsfolgenseite beachten.

Ein Vertrag, der bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb unmittelbar mit einem Bieter geschlossen wird, ist nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam, wenn der Auftraggeber trotz der objektiv existierenden Möglichkeit, weitere Bieter zur Angebotsabgabe aufzufordern, dies ermessenfehlerhaft unterlässt. 

Was ist passiert 

Der Antragsgegner hat unter Berufung auf § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV die Durchführung von Corona-Tests in Alten- und Pflegeheimen direkt an ein akkreditiertes Labor vergeben. Unmittelbar davor hatte ein weiteres akkreditierte Labor dem Antragsgegner per Mail mitgeteilt, dass es (zwischenzeitlich) auch über weitergehende Kapazitäten für die Durchführung derartiger Tests verfügt. 

Was wurde entschieden 

Das erkennende Gericht bejaht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV). Das Gericht verlangt vom Auftraggeber auch in diesen Situationen eine pflichtgemäße Ermessensausübung. Diese hätte vorliegend dazu führen müssen, ein Mindestmaß an Wettbewerb zu realisieren. Dadurch, dass der Antragsgegner zwar einerseits richtigerweise ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb als Grundlage für die Beschaffung wählte, er andererseits aber in Kenntnis der objektiven Möglichkeit zur Einholung mindestens eines weiteren Angebotes den Auftrag unmittelbar an die Beigeladene vergeben hat, handelt es sich im Ergebnis um eine rechtswidrige Direktvergabe. Danach ist der geschlossene Vertrag gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 von Anfang an unwirksam. Es macht keinen Unterschied, ob der Antragsgegner einen Auftrag ohne vorherige Bekanntmachung direkt vergibt, oder ob er das gleiche wirtschaftliche und wettbewerbswidrige Ergebnis dadurch realisiert, indem er ermessensfehlerhaft und trotz objektiv bestehender Möglichkeit nicht jedenfalls ein Mindestmaß an Wettbewerb innerhalb der richtigerweise angewendeten Verfahrensart – hier Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb – gewährleistet.  

 Das Gericht legt den Anwendungsbereich unter Berufung auf die Gesetzgebungsgeschichte zu § 135 Abs. 1 Nr. 2 (§ 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB a. F.) weit aus, namentlich auch auf solche Konstellationen, das zwar ohne Bekanntmachung mit mehreren Anbietern hätte verhandelt werden dürfen, ein Auftraggeber aber dennoch von einem Wettbewerb vollständig absah und „heimlich“ nur mit einem bestimmten Unternehmen verhandelte. 

Praxistipp

Auftraggeber müssen bei ihrer Entscheidung zur Verfahrensweise den Grundsatz zur Ausübung pflichtgemäßen Ermessens sowohl auf Tatbestandsebene, als auch auf der Rechtsfolgenseite beachten. Nur dann, wenn nach der vollständig und zutreffend dokumentierten Verfahrenslage unter Beachtung aller dem Auftraggeber zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nur ein Auftragnehmer in Betracht kommt, kann bei Vorliegen der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen eine unmittelbare Beauftragung erfolgen. Grundsätzlich sollten Auftraggeber unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens mehrere potenzielle Anbieter kontaktieren und Angebote abverlangen.  

Autor:

Rechtsanwalt Ronny Lohmann ist einer der Partner von Vergabekanzlei abante Rechtsanwälte Kins Lohmann PartG mbB in Leipzig. Seit Jahr 2005 arbeitet er als selbständiger Rechtsanwalt. Seine Tätigkeitsbereiche:

  • Vergaberecht, projektbegleitende Rechtsberatung (Bau/Planung, ITK)
  • Privates und öffentliches Baurecht
  • Grundstücksrecht / Leitungsrechte / Gestattung / Grundbuchbereinigung
  • Recht der Versorgungswirtschaft / technischen Infrastruktur/
  • Breitband- und Telekommunikationsrecht, Vertragsrecht.  

 

Quelle:

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Beschluss
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