Was sind die formalen Anforderungen an eine Rüge?
Damit nicht nur die Vergabestelle, sondern auch die Rechtsschutzinstanz die Beanstandung als Rüge versteht, muss sie bestimmte Mindestvoraussetzungen enthalten. Nur, wenn die Beanstandung als „Rüge“ ausgelegt werden kann, entfaltet sie die im ersten Beitrag erläuterten Rechtswirkungen für das Rechtsschutzverfahren.
Grundsätzlich muss eine Rüge nicht schriftlich erfolgen. Allerdings ist aus Beweis- und Dokumentationsgründen dringend anzuraten, die Rüge schriftlich einzureichen. Nicht notwendig ist, dass das Schreiben zwingend das Wort „Rüge“ enthält. Dennoch muss aus dem Schreiben klar ersichtlich werden, dass ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Entscheidung beanstandet wird, möglichst mit konkretem Verweis auf die betreffende vergaberechtliche Vorschrift, gegen die vermeintlich verstoßen worden ist. Der Vergabestelle muss eine Frist gegeben werden, bis zu der sich auf die Rüge reagieren soll. Außerdem muss deutlich gemacht werden, dass man bei Nichtabhilfe weitere rechtliche Schritte einleiten werde.
Welche Fristen sind zu beachten?
Da Vergabeverfahren generell unter zeitlichem Druck stehen, sind auch für die Rüge zeitliche Grenzen gesetzt. Es soll vermieden werden, dass ein Vergabeverfahren noch kurz vor Schluss gestoppt werden kann, obwohl der Bieter schon wesentlich früher seine Bedenken hätte anmelden können.
Wie schon im ersten Beitrag erläutert, kommt es als maßgebender Auslöser für die Rügepflicht darauf an, ob der Bieter den Verstoß erkennt. Mit dem Erkennen fängt auch die Rügefrist an zu laufen. Bis vor kurzem galt die Maßgabe, dass die Rüge „unverzüglich“ zu erfolgen hatte, wobei die „Unverzüglichkeit“ von den Vergabekammern und Oberlandesgerichten sehr unterschiedlich verstanden wurde. Je nach Sachlage und Gericht mussten die Bieter innerhalb von 2 bis 3 Tagen, 7 oder 10 Tagen rügen.
Mit der Änderung des GWB, die bis April 2016 in Kraft treten soll, wird nun eine feste Rügefrist eingeführt. Im aktuellen Regierungsentwurf wurden dafür 10 Kalendertage vorgeschlagen. Ob es dabei bleibt, muss abgewartet werden.
Hat der Bieter den Vergabeverstoß nicht erkannt, war er aber in der Bekanntmachung bzw. in den Vergabeunterlagen „erkennbar“, muss der Verstoß spätestens mit Angebotsabgabe bzw. Ende der Bewerbungsfrist gerügt werden.
Auf die 15-Tagesfrist nach Nichtabhilfe der Rüge durch die Vergabestelle wurde bereits im ersten Beitrag hingewiesen: Lehnt die Vergabestelle die Rüge ab, muss der Bieter innerhalb von 15 Tagen einen Nachprüfungsantrag einlegen, ansonsten verfällt seine Rüge.
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Eine Rüge muss bestimmte Formalien und Fristen erfüllen, damit sie auch als Rüge verstanden wird und die im Teil 1 dieser Serie dargestellten Rechtsfolgen auslösen kann.
Welche formalen Anforderungen müssen beachtet werden?
Der Bieter muss die Rüge gegenüber dem Auftraggeber erklären. Der Auftraggeber ist in den Teilnahmebedingungen oder den Vergabeunterlagen benannt. Die Rüge kann dabei in jeder Form ausgesprochen werden, also schriftlich, mündlich, telefonisch, per Fax oder E-Mail. Aus Beweisgründen sollte eine Rüge aber immer schriftlich erfolgen. Anderenfalls wird ein Bieter in einem späteren Nachprüfungsverfahren nur schwer nachweisen können, dass er ein bestimmtes Verhalten gerügt hat und wann die Rüge erfolgt ist. Wenn ein Auftraggeber einen besonderen Kommunikationsweg in den Vergabeunterlagen (z.B. E-Mail oder über eine Plattform) vorgibt, ist die Rüge auch über diesen Weg einzureichen.
Eine Rüge sollte auch als solche bezeichnet sein. Zwingend ist das zwar nicht. Erforderlich ist dann aber, dass die Rüge trotzdem als solche vom Auftraggeber erkannt werden kann. Aus der Rüge muss insofern deutlich hervorgehen, welches konkrete Verhalten oder welche Entscheidung beanstandet wird. Dabei sollte nach Möglichkeit auf die jeweilige vergaberechtliche Vorschrift verwiesen werden, gegen die vermeintlich verstoßen wurde.
In der Praxis ist es außerdem üblich, dem Auftraggeber eine Frist zur Beantwortung der Rüge zu setzen. Das empfiehlt sich besonders in Fällen, in denen der Zuschlag durch rechtzeitigen Nachprüfungsantrag verhindert werden soll. Außerdem sollte in der Rüge ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass sich der Bieter im Falle der Nichtabhilfe der Rüge einen Nachprüfungsantrag vorbehält.
Welche Fristen müssen beachtet werden?
Eine Rüge muss rechtzeitig erfolgen. Das GWB-Vergaberecht sieht dafür bestimmte Höchstfristen vor, die unbedingt einzuhalten sind. Anderenfalls riskiert ein Bieter, dass Präklusion eintritt, er sich also nicht mehr auf den Vergabeverstoß berufen kann. Ein Nachprüfungsantrag wäre dann unzulässig.
Die Frist für die Rüge knüpft an das Erkennen des Vergabeverstoßes an. Nach dem GWB hat ein Bieter 10 Kalendertage Zeit, einen erkannten Verstoß gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zu rügen (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB). Diese Frist reduziert sich faktisch, wenn ein Bieter gegen einen bevorstehenden Zuschlag auf ein Konkurrenzangebot vorgehen möchte. In diesem Fall muss ein Bieter bis zu dem in der Vorabinformation (§ 134 Abs. 2 GWB) mitgeteilten Zuschlagszeitpunkt eine Rüge und einen Vergabe-Nachprüfungsantrag einreichen, um das Zuschlagsverbot zu erhalten. Denn nach dem Zuschlag besteht der vergaberechtliche (Primär-)Rechtsschutz nicht mehr.
Die 10-tägige Rügefrist beginnt mit der Kenntnis des Vergabeverstoßes und endet mit Ablauf des zehnten Kalendertages. Nachdem es auf „Kalendertage“ ankommt, werden auch Sonn- und Feiertage bei der Fristberechnung einbezogen. Innerhalb der Frist muss die Rüge dem Auftraggeber so zugehen, dass er sie zur Kenntnis nehmen kann.
In Fällen, in denen zwar keine Kenntnis von einem Vergabeverstoß vorliegt, der Verstoß aber in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen erkennbar war, muss der Verstoß spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen genannten Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gerügt werden (§ 160 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 GWB). Das betrifft insbesondere Verstöße, die das Leistungsverzeichnis betreffen (z.B. Diskriminierungen, produktspezifische Ausschreibung). Diese Höchstfristen ändern aber nichts daran, dass es bei der 10-Tage-Frist bleibt, wenn ein Bieter von einem Verstoß Kenntnis hat.
Dr. Corina Jürschik ist seit 2013 Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht in der Kanzlei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte in Stuttgart. Im Vergaberecht berät sie Bieter bei der Durchsetzung ihrer vergaberechtlichen Ansprüche sowie öffentliche Auftraggeber bei der rechtssicheren Gestaltung von Vergabeverfahren. Sie publiziert regelmäßig im Bereich Vergaberecht und hält Fachvorträge.