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Nachforderung von Unterlagen – das muss der Bieter beachten

Wer kennt es nicht? Das Angebot ist abgegeben, und dann fällt auf, dass Angaben oder Unterlagen fehlen oder unvollständig sind. Vor Ablauf der Angebotsfrist hat es der Bieter noch selbst in der Hand, sein Angebot zu vervollständigen oder zu ändern. Nach Ablauf der Angebotsfrist besteht diese Möglichkeit nur, wenn der Auftraggeber oder das Gesetz es erlauben. In den letzten Jahren erweiterte und konkretisierte der Gesetzgeber, unter welchen Bedingungen unvollständige Angebote vervollständigt und teilweise sogar fehlerhafte Angaben inhaltlich korrigiert werden dürfen.

Anhand einiger Fälle aus der Praxis sollen die Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie ein zunächst nicht wertungsfähiges Angebot nach Angebotsfrist vervollständigt werden kann. Vorgestellt werden auch die Neuerungen der VOB/A 2019.

Der Auftraggeber legt fest, ob überhaupt nachgefordert wird!

Der Auftraggeber entscheidet, ob er fehlende Erklärungen überhaupt nachfordert. Dieses Recht hat der Auftraggeber bei Dienst- und Lieferleistungen bereits seit Jahren. Er kann bereits in den Vergabeunterlagen auf eine Nachforderung verzichten. Andernfalls kann er nach Angebotsabgabe unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes frei entscheiden, fehlende Unterlagen nachzufordern. Neuerdings steht in der VOB/A 2019, dass der Auftraggeber auch bei Bauleistungen bereits vorab in den Vergabeunterlagen festlegen darf, ob er auf eine Nachforderung verzichten will. Verzichtet er nicht vorab, muss er bei Ausschreibungen von Bauleistungen (genauso wie unter Geltung der VOB/A 2016) zwingend nachfordern.

Bauunternehmen könnten die Pflicht des Auftraggebers, fehlende Unterlagen zwingend nachzufordern, dazu (aus)nutzen, bewusst ein zunächst unvollständiges Angebot abzugeben, um die Entscheidung über die Vervollständigung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Die Rechtsprechung hat erkannt, dass die Gefahr von „Manipulationen“ durch bieterseitiges Taktieren besteht, diese Gefahr ist aber als geltendes Recht in Kauf zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.2016 mit Hinweis auf die VOB/A 2016).

Der Auftraggeber legt die Frist für die Nachreichung fest!

Der Auftraggeber hat es in der Hand, den Zeitraum, innerhalb dem ein Bieter fehlende Erklärungen nachreichen darf, festzulegen. Die Frist muss aber angemessen sein. In einem konkreten Fall hatte der Auftraggeber eine Frist von drei Kalendertagen festgelegt, wobei dem Bieter wegen eines Feiertages praktisch nur ein Arbeitstag für die Nachreichung zur Verfügung stand. Diese Frist war zu kurz. Angemessen ist in der Regel eine Frist von sechs Kalendertagen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.11.2018).

Bei Dienst- und Lieferleistungen steht dem Auftraggeber die Möglichkeit, eine angemessene Frist festzulegen, bereits seit Jahren zu. Neuerdings gilt dies nach der VOB/A 2019 auch für Bauleistungen. Die VOB/A 2019 gibt nur noch vor, dass der Auftraggeber eine angemessene Frist festlegt und sie sechs Kalendertage nicht überschreiten „soll“.

Legt der Auftraggeber eine längere als die gesetzlich vorgesehene Frist fest, kann das nicht zum Nachteil des Bieters führen. Der Bieter genießt ein schutzwürdiges Vertrauen in die vom Auftraggeber im Einzelfall genannte Frist. Hält der Bieter die vom Auftraggeber genannte Frist ein, darf sein Angebot nicht ausgeschlossen werden (so das OLG Düsseldorf im Beschluss vom 03.04.2019 zur Festsetzung einer längeren Frist als die Sechstagesfrist der VOB/A 2016).

Nach Ablauf der Angebotsfrist darf der Auftraggeber Unterlagen nur einmal anfordern bzw. nachfordern!

Unterlagen, die nach den Vorgaben des Auftraggebers bereits mit dem Angebot oder Teilnahmeantrag hätten eingereicht werden müssen, dürfen nur einmal nachgefordert werden. Unterlagen, die von vornherein nicht schon mit dem Angebot, sondern erstmals nach Ablauf der Angebots- oder Teilnahmefrist auf Anforderung des Auftraggebers eingereicht werden müssen, dürfen nur einmal angefordert werden.

Beispiel: Der Auftraggeber fordert mit dem Angebot die Vorlage einer Eigenerklärung über Referenzprojekte. Von dem engeren Kreis der Bieter, die für den Zuschlag in Betracht kommen, verlangt der Auftraggeber auf gesonderte Anforderung die Vorlage von Drittbescheinigungen, in denen die Referenz-Auftraggeber bestätigen, dass der Auftragnehmer seine Leistung ordnungsgemäß ausgeführt hat. Diese Drittbescheinigungen muss der Bieter also erst auf gesonderte Aufforderung des Auftraggebers nach Ablauf der Angebotsfrist vorlegen.

Fehlt im Angebot die Eigenerklärung zu Referenzprojekten, gelten die Regeln über die Nachforderung: Der Auftraggeber darf bzw. muss sie einmal nachfordern. Ist die Frist abgelaufen, ohne dass der Bieter die Eigenerklärung eingereicht hat, ist das Angebot zwingend auszuschließen.
Liegt die Eigenerklärung zu Referenzprojekten (fristgerecht) vor, darf bzw. muss der Auftraggeber die Drittbescheinigungen einmal anfordern. Legt der Bieter die (nach Ablauf der Angebotsfrist erstmals angeforderte) Drittbescheinigung nicht fristgerecht vor, ist das Angebot zwingend auszuschließen. Der Auftraggeber darf solche Unterlagen kein zweites Mal nachfordern (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.2016).

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Fazit

Kontrollieren Sie, soweit möglich, bereits die Vollständigkeit Ihres Angebotes vor der Abgabe:

  • Nutzen Sie das 4-Augenprinzip!

Haben Sie festgestellt, dass Ihr Angebot unvollständig oder inhaltlich falsch ist, bemühen Sie sich um eine nachträgliche Korrektur:

  • Vor Ablauf der Angebotsfrist können Sie Ihr Angebot zurückziehen, entsprechend korrigieren/ändern und neu abgeben.
  • Nach Ablauf der Angebotsfrist sollten Sie der Aufforderung eines Auftraggebers, Ihr Angebot zu vervollständigen oder ggf. zu korrigieren, fristgerecht innerhalb der vom Auftraggeber gesetzten Frist nachkommen.
  • Reichen Sie alles, was der Auftraggeber nachfordert, nach.