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Kann ein Zuschlag aus Treu und Glauben unwirksam sein?

Was ist passiert?

Bei einem Vergabeverfahren über Leistungen zur telefonischen Sprachermittlung rügte der spätere Antragsteller erfolglos die geplante Zuschlagserteilung an einen Mitkonkurrenten. Daraufhin stellte der Antragsteller einen Nachprüfungsantrag, der dem Antragsgegner von der Vergabekammer nicht weitergeleitet wurde, da sie den Nachprüfungsantrag für offensichtlich unzulässig hielt. Unmittelbar nach Ablauf der Wartefrist erteilte der Antragsgegner den Zuschlag. Erst eine Woche nach Zuschlagserteilung erging der ablehnende Beschluss der Vergabekammer, gegen den der Antragsteller die sofortige Beschwerde einlegte.

Die Entscheidung

Die sofortige Beschwerde hatte Erfolg. Die Vergabekammer hätte nach Ansicht des Vergabesenats den Vortrag des Antragstellers nicht so einfach als offensichtlich unzulässig zurückweisen dürfen. Das Verfahren leide an mehreren schwerwiegenden Mängeln. Insbesondere hätte die Vergabekammer den Vergabenachprüfungsantrag daher dem Antragsgegner in Schriftform übermitteln müssen. Die Frage, ob ein Zuschlag rechtswirksam erteilt wurde, sei trotz § 168 Abs. 2 S. 1 GWB „derzeit offen“. Die Unwirksamkeit des Zuschlags könne sich gegebenenfalls nach Treu und Glauben ergeben. Zu berücksichtigen sei unter anderem, dass der Zuschlag sofort nach Ablauf der Wartefrist erteilt worden sei, weshalb die schnelle Zuschlagserteilung offenbar im Wesentlichen das Ziel hatte, unverrückbare Fakten zu schaffen. Zudem kannte der Antragsgegner durch die Rüge die Argumentation und hatte bei Zuschlagserteilung Kenntnis von der Existenz des Nachprüfungsantrags, sodass er hätte erkennen können, dass der Nachprüfungsantrag nur schwerlich offensichtlich unbegründet sein kann.

Praxistipp

In Bezug auf die Wirksamkeit des Zuschlags überraschen die Ausführungen des Vergabesenats. Nach der Vorschrift des § 168 Abs. 2 S. 1 GWB kann ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden. Unwirksam ist der Zuschlag in den Fällen von § 135 GWB, was insbesondere De-facto-Vergaben betrifft. Zudem regelt das Gesetz in § 169 Abs. 1 GWB ausdrücklich, dass ein Zuschlag nur dann nicht erteilt werden darf, wenn der Auftraggeber von der Vergabekammer über den Antrag auf Nachprüfung in Textform informiert worden ist. Vorher besteht – nach Ablauf der Wartefrist – gerade kein Zuschlagsverbot (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.12.2019 – Verg 53/18). Die Argumentation des Vergabesenats widerspricht folglich dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und bürdet dem Auftraggeber Pflichten auf, die nicht in seiner Sphäre liegen und ihm das Gesetz so auch nicht zugeteilt hat. Die Ausführungen des Vergabesenats zur Wirksamkeit des Zuschlags überzeugen daher nicht.

Um sich dennoch die minimale Chance auf Grundlage der Argumentation des Vergabesenats auf einen Zuschlag zu bewahren, sollten Bieter den Antragsgegner bei Stellung eines Nachprüfungsantrags auch selbst über die Antragstellung informieren.

Weitere Informationen


Datum: 10.02.2020
Gericht: KG Berlin
Aktenzeichen: Beschluss Verg 6/19
Typ: Beschluss
Wissen

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